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Fall MH17 – Ermittler bitten Zeugen um Hilfe

Von Michelle Eickmeier

Die Internationale Untersuchungskommission JIT, die sich mit der Aufklärung zum Fall des Abschusses der MH17-Passagiermaschine über der Ostukraine befasst, präsentiert ein neues Foto. Nach Auffassung des JIT soll es die Flugabwehrrakete abbilden, die das Flugzeug abgeschossen hat.

Die Ermittler im Fall des Abschusses der MH17-Passagiermaschine über der Ostukraine gehen derzeit einem neuen Hinweis nach. So veröffentlichte die Internationale Untersuchungskommission (Joint Investigation Team) ein Foto, das nach Auffassung des JIT die Luftabwehrrakete vom Typ „Buk-TELAR“ abbilden soll, die für den Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges verantwortlich sei.

Das Foto soll am 17. Juli 2014 in der Stadt Makeevka in der Ukraine aufgenommen worden sein. Nun bittet die niederländische Staatsanwaltschaft Zeugen um Mithilfe, die mögliche Informationen oder Beweise zum Foto, den Fahrzeugen und dem Ort geben können, an dem das Bild fotografiert wurde.

Was soll das Foto zeigen?

Das Foto soll eine Luftabwehrrakete vom Typ „Buk-TELAR“ zeigen. Eine Flugabwehrrakete (FlaRak), genannt auch Boden-Luft-Rakete, SAM (surface-to-air missile), oder GTAM (ground-to-air missile) bezeichnet eine Raketenwaffe zur Bekämpfung von Luftzielen. Die mobile Raketenstartrampe ist ein Fahrzeug, das eine oder mehrere militärische Raketen trägt und direkt von der Startrampe aus gestartet werden kann. Eine Buk-TELAR (Englisch: TELAR= Transporter Erector Launcher and Radar) verfügt zusätzlich über ein eigenständiges Radarsystem.

Während das JIT davon ausgeht, dass die Aufnahme wahrscheinlich in der ukrainischen Stadt Makijiwka (Englisch: Makiivka) fotografiert wurde, ist das investigative Recherchennetzwerk Bellingcat („bell¿ngcat“) am Freitag zu dem Schluss gekommen, das Foto wurde in Donezk aufgenommen.

MH17-Aufklärer im Visier

Das JIT lieferte in einem Zwischenbericht neue Beweise auf einer Pressekonferenz im September letzten Jahres, MH17 sei durch eine Buk-Rakete russischer Herkunft aus dem von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebiet, 20 km vom Absturzort, abgefeuert worden. „Flug MH17 wurde von einer Buk Rakete abgeschossen, die von einem Feld bei Perwomajsk startete.“ Das Raketensystem sei aus der Russischen Föderation gekommen und sei dann dorthin zurückgekehrt, so Wilbert Paulissen, Leiter des Ermittlungsteams, auf der Pressekonferenz. Damit machten die niederländischen Sonderermittler Russland für den Abschuss mitverantwortlich. Die strafrechtliche Ermittlung durch den niederländischen Untersuchungsrat für Sicherheit basiert auf tausenden Amateurvideos, Fotos und Mobilfunkgesprächen. Ein abgehörtes Telefonat soll beweisen, dass pro-russische Separatisten eine Buk-Rakete bestellten. Brisant: Russland hatte bereits im Juli 2015 ein UN-Tribunal durch sein Veto im Weltsicherheitsrat blockiert.

Das JIT bestätigte damit auch die Variante von Bellingcat, das die durch Russland vorgelegten Satellitenbilder von ukrainischen Waffensystemen analysierte, die sie als digital manipuliert und falsch datiert einordnete. Zudem rekonstruierte Bellingcat, dass Luftabwehrraketen vom Typ Buk einen Tag vor dem Abschuss der MH17-Passagiermaschine von Russland in das von Rebellen kontrollierte Gebiet transportiert worden und am nächsten Tag ohne die fehlende vierte Rakete zurückgefahren sei.

Zahlreiche Angriffe richteten sich im Zusammenhang mit den Ermittlungen und Recherchen zum Abschuss der MH17 gegen Organisationen und Journalisten. So wurde das JIT zeitgleich zum Abschlussbericht seiner Ermittlungen Opfer eines Cyberangriffs. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) geht von Russland als Initiator aus und bemerkt, dass „Regierungskritiker, Journalisten und NGOs sowie internationale Großbanken und Fernsehanstalten im Fokus russischer Angreifer“ stehen.

Auch das investigative Recherchenetzwerk Bellingcat geriet ins Visier russischer Angreifer, indem es schädliche Pishing-E-Mails erhielt. Dieser Typ schädlicher E-Mails ähnelt dem im Fall des Hackangriffs auf den Account von John Podesta, den Vorsitzenden der Wahlkampfkampagne von Hillary Clinton, im März 2016. Schließlich wurde auch die investigative Journalistenorganisation Correctiv im August 2016 Opfer eines Angriffs, indem ihr Redaktionsbüro von zwei Männern mit den Rufen „Lügenpresse“ gestürmt wurde. Diese Aktion war gegen die MH17-Recherche gerichtet, da Correctiv ebenfalls zu dem Fall recherchiert. Correctiv war zu dem Schluss gekommen, dass MH17 durch pro- russische Separatisten aus Rebellengebiet abgeschossen wurde.

Hintergrund

Der Abschuss des Malaysia-Airlines- Fluges MH17 über der Ostukraine im Juli 2014, dem 298 Menschen zum Opfer fielen, ist ein markanter Höhepunkt innerhalb der Krise zwischen Moskau und der EU sowie der NATO und den USA seit der Annexion der Krim. Noch immer ist eine russische Mitverantwortung nicht ausreichend geklärt, wenngleich das JIT, das die strafrechtliche Ermittlung durchführt, bereits Fakten vorgelegt hat. Der deutsche Inlandsgeheimdienst bezeichnet das Verwirrspiel um die Aufklärung als Desinformationskampagne. Moskau hatte ständig neue, sich teilweise widersprechende Theorien aufgestellt, wonach es sich von einer Mitschuld freisprach, doch letztendlich seine Glaubwürdigkeit verlor. Von Moskau an das JIT vorgelegte und mutmaßlich gefälschte Radardaten konnten nicht ausgewertet werden. Ein UN-Tribunal zur Aufklärung des Falls MH17 blockierte Russland durch sein Veto im Weltsicherheitsrat.

Hybride Kriegsführung

EU und NATO sind eine enge Kooperation im Kampf gegen hybride Bedrohungen eingegangen. Zuvor hatte die NATO auf dem Gipfeltreffen in Warschau vereinbart, ein hybrider Angriff könne den Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, also den Bündnisfall auslösen. Demnach erkennt die NATO die Bekämpfung hybrider Kriegsführung als Teil ihrer kollektiven Verteidigung an. Es sei eine neue „post-westliche“, nicht durch den Westen dominierte Weltordnung, die Russland anstrebe, so Lawrow, die NATO sei eine Institution des Kalten Krieges, wenngleich NATO und Russland immer wieder betonen, keinen lancieren zu wollen.

Keine Fakten habe er bisher gesehen, lässt dabei aber außen vor, dass es gerade Russland ist, das seine auf Vertrauen basierende Kooperationswürdigkeit erst unter Beweis stellen muss, nachdem es die völkerrechtliche Souveränität der Krim gebrochen hatte. Fakten schaffte Moskau durch die Einschleusung pro-russischer Separatisten und neue Grenzziehungen innerhalb Europas, die den Hegemonialbestrebungen längst vergangener Zeiten entsprechen. Die illegale und verdeckt militärische Annexion der Krim verband es mit Desinformationskampagnen, die den Hybridkrieg komplettieren. Einzig durch die Umsetzung der Friedens-Vereinbarung von Minsk, kann sich Russland wieder als glaubwürdiger Kooperationspartner profilieren. Mogherini machte in einer Konversation mit dem Atlantic Council-Präsidenten Fred Kempe während ihrer USA-Reise deutlich, worum es der EU geht: Für Europäer sei es wichtig zu verstehen, dass man Grenzen nicht mit Gewalt ändere. „Dies ist auch eine Frage der Sicherheit in Europa“, fügte sie hinzu.

Europas Einheit im Visier

Die Folgen des Hybridkrieges kamen zunächst in der Ukraine deutlich zum Ausbruch, in einem vormals revolutionierenden Land, das Präsident Viktor Janukowytsch während des blutigen Euromaidans stürzte, um sich dem Westen anzupassen. Dies lässt Putin rotsehen. Er will nicht verstehen, dass die NATO keine Politik der geschlossenen Tür innehat, sondern eine demokratische. Putin sieht die EU als eine der größten Herausforderungen in seinem Bestreben, eine neue Weltordnung zu begründen, in der Russland eine Position als globale Einfluss-Macht beansprucht. Im Visier des Hybridkrieges steht die Diskreditierung der politischen Integrität von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihrer Flüchtlingspolitik und Befürwortung der Sanktionen gegenüber Russland.

Dem geht es vor allem um die Spaltung der EU. Pro-russische Propaganda richtet sich zumeist gegen Institutionen wie EU und NATO. In diesem Zusammenhang warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor Cyberangriffen zur bevorstehenden Bundestagswahl. Staatlich gelenkte Cyberangriffe durch Russland erfolgten bereits auf das IT-Netz des Bundestages, die der Kampagne „APT 28“ zugeordnet wurden. Aber auch Europawahlen in Frankreich, den Niederlanden und Italien sind hybride Angriffsziele.

Der Kreml verfolgt die Stärkung rechtspopulistischer Strömungen mit Desinformationskampagnen, und Cyberangriffen. Das gerade erst bekannt gewordene Treffen zwischen einer AfD-Delegation und russischen Parlamentsvorsitzenden unterstreicht dies. Moskau favorisiert einen weiteren Machtverlust der EU nach dem Muster des Brexit.

Desinformationskampagnen unterstützen demnach, so warnt die EU in einer nicht-legislativen Resolution, eine Anti-EU-Position. Russland greife dabei auch auf die staatlich gelenkten Medien wie „RT“ und „Sputnik“ zurück. Propaganda gegen demokratische Werte werde dazu eingesetzt, Entscheidungsprozesse lahmzulegen, EU-Institutionen und die Einheit mit transatlantischen Partnern wie den USA zu diskreditieren. Putin reagierte mit Zynismus auf den EU-Beschluss, indem er ihn als Widerspruch zu demokratischen Prinzipien hinstellte, während er gleichzeitig dem wenig demokratischen staatsnahen Medienunternehmen Rossiya Segodnya, das u.a. das Nachrichtenportal „Sputnik“ betreibt, für seine „aktive, effektive, und talentierte Arbeit“ gratulierte.

Eine Desinformationskampagne nach dem Fall „Lisa“, richtete sich jüngst gegen die Bundeswehr, die in Litauen stationiert ist. Eine angebliche Vergewaltigung erwies sich als Falschmeldung. Unschwer erkennbar war dies ein gezielter Diskreditierungsversuch, der gegen die Verlegung von NATO-Truppen nach Osteuropa gerichtet ist, die militärische Stärke als Abschreckung gegenüber Russland demonstrieren will. Klar war diese Kampagne, die auf einer NPD-Kundgebung instrumentalisiert wurde, gegen die deutsche Flüchtlingspolitik gerichtet, wie Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen bestätigte. Bemerkenswert auch, dass Russland angebliche Vergewaltigung als Mittel zur Diskreditierung nutzt, während das russische Parlament selbst gerade erst ein Gesetz verabschiedete, wonach die Bestrafung häuslicher Gewalt mit der Begründung russischer Familienkultur deutlich entkriminalisiert wurde.

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Reuters/Motherboard/The Moscow Times/JURIST