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Verfechter Europas – Die Geschwister Scholl mahnen zur Zivilcourage

Von Michelle Eickmeier

Das couragierte Eintreten der Geschwister Scholl gegen das NS-Unrechtsregime hat auch heute, 75 Jahre nach ihrem Tod nicht an Aktualität verloren, und wird es wohl nie.

Was würden die Widerstandsaktivisten um die Weiße Rose, Hans und Sophie Scholl, heute etwa zur Flüchtlingskrise, zum Ansteigen des Antisemitismus oder dem Syrienkrieg sagen? Eines scheint wahrscheinlich – sie würden nicht wegsehen. Auch weil es im 21. Jahrhundert kaum möglich ist, sich seiner Mitverantwortung zu entziehen, denn bedingt durch die globale Digitalisierung ist die Welt zum „globalen Dorf“, so formulierte es der Medientheoretiker Marshall McLuhan, zusammengerückt. Nicht Wegsehen, nicht Schweigen – es ist das Vermächtnis der Geschwister Scholl.

Erblüht und ermordet – Die „Weiße Rose“

Den Geschwistern Hans (22.08.1918 – 22.02.1943) und Sophie Scholl (9.05.1921 – 22.02.1943) war ihre geheime Protestaktion am 18. Februar 1943 zum Verhängnis geworden. Nachdem sie in der Münchner Universität Kopien des sechsten Flugblattes der Weißen Rose verteilten, denunzierte sie der Hausmeister bei der Gestapo. Sie wurden verhaftet und mit ihnen auch Christoph Probst (06.11.1919 – 22.02.1943). Zu ihrer Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ gehörten auch der Medizinstudent Willi Graf (2.01.1918 – 12.10.1943) sowie der Münchner Philosophieprofessor Kurt Huber (24.10.1893 – 13.07.1943).

The White Rose memorial, Ludwig Maximilian University of Munich. Photo: Michelle Eickmeier
The White Rose memorial, Ludwig Maximilian University of Munich. Photo: Michelle Eickmeier

Die Festnahme der Geschwister Scholl ist der Auftakt einer mörderischen Verhaftungswelle. Keine zwölf Stunden später schlägt die Gestapo auch bei Graf zu. Mit seiner Schwester wird er in München festgenommen, zusammen mit Alexander Schmorell (16.09.1917 – 13.07.1943) und Professor Kurt Huber zum Tode verurteilt. Huber und seine Frau nahm die Gestapo am 27. Februar fest.

Über den Zeitpunkt der Urteilsvollstreckung wurde Willi Graf vollkommen im Unklaren gelassen. Die Geschwister Scholl leben lange nicht mehr. Von diesem qualvollen Hinauszögern erhofft sich die Gestapo, weitere Namen aus ihm herauszupressen.
Doch hierin unterschätzen sie ihn – gegen die Zivilcourage des „Hochverräters“ sind sie machtlos. Er allein sei für alles verantwortlich, kann er im Verhör glaubhaft machen und schützt so andere Mitgeschworene.

„Ein neues, geistiges Europa“

Kurt Huber habilitierte 1926 in Psychologie und Philosophie, nachdem er in München studierte. Die Aktivisten der Weißen Rose wurden auf ihn aufmerksam und gewannen ihn für sich. Er war auch der Verfasser des letzten Flugblattes.

Für seinen Widerstand verteidigte Huber sich am 19. April 1943 vor dem Volksgerichtshof im Münchner Justizpalast:

„Rückkehr zu klaren sittlichen Grundsätzen, zum Rechtsstaat, zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch, das ist nicht illegal, sondern umgekehrt die Wiederherstellung der Legalität.“

Schließlich wird er wegen „Hochverrat, Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung“ mit den Medizinstudenten Alexander Schmorell und Willi Graf zum Tod verurteilt.

In dem mit einer Auflage von 3.000 Stück vervielfältigten sechsten Flugblatt hatte Huber die Zerstörung jedweder Freiheit angeprangert und appelliert:

„Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, seine Peiniger zerschmettert und ein neues, geistiges Europa aufrichtet.“

Der Weg in den Widerstand

Während des Sanitätsdienstes an der Ostfront (Feldfamulatur 1942), werden Hans Scholl, Willi Graf, Alexander Schmorell und Hubert Furtwängler Zeugen des Kriegshorrors.

Da hatte Willi Graf dem Leben unterm Hakenkreuz bereits eine klare Absage erteilt. Selbst als 1936 die Hitlerjugend zur Staatsjugend erklärt wird, schafft Graf es dennoch, den Eintritt in die HJ zu vermeiden, riskiert dabei sogar sein Abitur. Grafs erster Konflikt mit dem nationalsozialistischen Staat lässt nicht lange auf sich warten: 1938 steht in Bonn- Poppelsdorf die Gestapo vor der Tür. Graf wird in Bonn inhaftiert (22. Januar – 5. Februar 1938). Mit 17 weiteren Mitgliedern des Grauen Ordens, einer katholischen Jugendbewegung hat er gegen “§ 4 der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat […] zuwidergehandelt […]”, heißt es in der Anklageschrift vor dem Sondergericht Mannheim. Noch hat er Glück: Im Zuge einer Generalamnestie nach dem “Anschluss” Österreichs an Deutschland kommt es zur Verfahrenseinstellung. Parallel zu Graf profitiert auch der ihm noch unbekannte Hans Scholl von der Amnestie, nachdem er aufgrund seiner Verbindung zur verbotenen Ulmer dj.1.11. (deutsche Jungenschaft vom 1.11.1929) inhaftiert wurde. In München kann Graf sein Medizinstudium fortsetzen. Ausgebildet zum Sanitäter, wird er an West- und Ostfront eingesetzt (1940-1941). Zurück in München die erste Begegnung mit dem Medizinstudenten Hans Scholl, der ihn in die Widerstandsaktionen der Weißen Rose einweiht: „Hoffentlich komme ich öfter mit ihm zusammen“, schreibt er in sein Tagebuch (13.06.1942).

Inspiration holen sich die Widerstandskämpfer bei französischen und deutschen Vertretern der Renouveau Catholique: Georges Bernanos, Paul Claudel, Francis Jammes, Werner Bergengruen, Theodor Haecker, Carl Muth und Reinhold Schneider. Diese literarische Reformbewegung strebte eine Renaissance katholisch christlicher Werte in einer antichristlichen Gesellschaft an. Noch in der Todeszelle findet Willi Graf in dieser geistigen Welt Halt und Stärke. „Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben“, zitiert Hans Scholl den französischen Philosophen Jacques Maritain. Um sich und anderen Mut zu machen, wiederholt er auch oft eine Strophe aus Goethes Gedicht „Feiger Gedanken“: „Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten.“

Die enorme Gefahr, der sich die Weiße Rose aussetzte, entsprang vor allem ihrer christlichen Weltanschauung. Darin lag die besondere Gewichtung der Rede “Die Waage des Daseins” von Romano Guardini, dem katholischen Theologen und Religionsphilosophen. Zu Ehren der ermordeten Mitglieder der Weißen Rose hielt er nach dem Krieg im Jahr 1945 eine Gedenkrede in der Münchner Ludwig- Maximilians-Universität.

Kurzen Prozess machten die Nazis mit der Weißen Rose – alle wurden sie hingerichtet durch das Fallbeil, und alle waren sie getrieben von ihrem Gewissen.