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Emmanuel Macron: „Wir brauchen eine europäische Strategie“

Von Michelle Eickmeier

„Westlessness“, war das diesjährige Motto der Münchner Sicherheitskonferenz. Ein ebenfalls passender, wenngleich stärker apokalyptisch anmutender Slogan wäre beispielsweise einer der folgenden gewesen: „Die nukleare Verunsicherung“, oder „Zeitalter nuklearer (Un-)sicherheit.“ Schließlich schätzt der Münchner Sicherheitsreport die Chance einer Verlängerung des Rüstungskontrollvertrages New-START (Strategic Arms Reduction Treaty) zwischen den USA und Russland als unwahrscheinlich ein. Abkommen und Verträge scheinen einer nostalgischen Vergangenheit anzugehören. Die Gefahr eines neuen Wettrüstens, die zusätzlich durch die Konflikte mit Indien, dem Iran, Nordkorea sowie Pakistan angeheizt wird, ist real geworden. Neue militärische Schauplätze des Wettrüstens wie der Weltraum und der Cyberraum sind hinzugekommen.

Globale Militärausgaben seien heute höher als in der Zeit des späten Kalten Krieges, greift der Report auf. Neue Wege im Bereich der Rüstungskontrolle und Transparenz seien erforderlich, im Bereich Weltraum, künstlicher Intelligenz oder Technologie.

„Stunde der Wahrheit“ für Europa

„Ich glaube, wir stehen wirklich vor einer Stunde der Wahrheit in Europa“, gab  Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu Bedenken. Als Mittel der Wahl will er mehr Handlungsfreiheit für Europa erreichen, eine eigene Strategie, auch gegenüber Russland und der aufstrebenden Macht China sowie im Mittelmeer. Dies sei nicht nur eine Frage transatlantischer Politik, sondern europäischer Politik. Europa benötige mehr Einigkeit, eine vitalere Demokratie, mehr Klimaschutz, eine bessere Sicherung der Grenzen.

„Ich bin überzeugt davon, dass wir ein stärkeres Europa der Verteidigung brauchen“, sagte Macron weiter, für den Glaubwürdigkeit und Handlungsspielraum in der Außenpolitik zusammengehörten.

„Wir stellen eine gewisse Schwäche des Westens fest“, die Werte hätten sich verändert, und Europa brauche „eine Strategie die es uns erlaubt uns, wieder als strategisch politische Macht zu begreifen, sagte Macron, der sich auch ganz hinter die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seiner Kritik an China, Russland und den USA stellte. Macron prognostizierte weitere aggressive Destabilisierungsversuche Russlands gegenüber westlichen Demokratien, womit er auf die Hybrid-Taktiken Russlands anspielt.

„Wir brauchen im Herzen Europas mehr Gemeinsamkeit“

In seinen genannten Schlüsselbegriffen hinsichtlich der erzielten Handlungsfreiheit wie „Souveränität, Einigkeit und Demokratie“ klingen die verwandt, historisch-politischen Errungenschaften der Französischen Revolution von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ wieder – eines des größten Erbes europäischer Geschichte.

NATO-Grundwerte: „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit“

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigte die bereits bekannten Positionen der NATO gegenüber Russland sowie ihre Solidarität gegenüber der Ukraine als Partner erneut, und sprach sich für die Aufrechterhaltung von Sanktionen aus. Gleichzeitig setzt er auf einen Dialog mit Russland und dem Streben nach besseren Beziehungen zu „unserem größten Nachbarn.“ Die Präsenz der USA in Europa und europäischer Alliierter nähme zu, und das Schwarze Meer sei von strategischer Bedeutung für die NATO, indem die NATO ihre Präsenz durch mehr Luftstreitkräfte, auf See und an Land verstärkt habe.

Stoltenberg betonte, alle Alliierten blieben der Rüstungskontrolle verpflichtet, trotz des aufgekündigten INF-Vertrages (Intermediate Range Nuclear Forces). Die USA hatten festgestellt, dass Russland gegen den INF-Vertrag verstoßen habe, indem es eine neue bodengestützte Mittelstreckenrakete mittlerer Geschwindigkeit entwickelt und getestet habe. Russland bestreitet diesen Vorwurf. Der INF-Vertrag war eine wesentliche Säule europäischer Sicherheit, und sah die Vernichtung aller nuklearen Mittel- und Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 5.500 Kilometern vor.

Die nukleare (Un-)sicherheit

Gleichzeitig stellten sich alle NATO-Verbündeten hinter die Entscheidung der USA, den INF-Vertrag annulliert zu haben, da sich alle Alliierten über den Verstoß seitens Russlands einig seien. Man wolle aber keine neuen landgestützten Atomraketen in Europa einsetzen, sondern andere Dinge im Zusammenhang mit konventionellen Luft- und Raketenabwehrübungen.

INF – Nicht alle Herausforderungen abgedeckt

Mit Blick auf den ad acta gelegten INF-Vertrag, bemerkte Camille Grand, der Stellvertretende NATO-Generalsekretär für Verteidigungsinvestitionen, dass der INF-Vertrag nicht alle Herausforderungen abgedeckt habe. Er bezog keine anderen Staaten, wie Nordkorea oder den Iran, die im Besitz von Raketen mit mittlerer Reichweite seien, mit ein. Grand warnte davor, dass Demokratien auf Abrüstung setzen, während anti-demokratische Staaten weiterhin aufrüsten. Die bilateralen Vereinbarungen des Kalten Krieges beantworte nicht alle gegenwärtigen strategischen Herausforderungen.

NATO
Camille Grand (NATO). Bildquelle: MSC / Kuhlmann.

Auf die Frage der nuklearen Sicherheit, sagte Stoltenberg, dass man bereits seit Jahrzehnten eine bewährte europäische Abschreckung habe, es sei die ultimative Sicherheitsgarantie für Europa, und gleichzeitig „die nukleare Abschreckung der NATO“, die institutionalisiert sei. Die französische nukleare Abschreckung trage zur allgemeinen Sicherheit der NATO bei.

„Wir sind auch der Konkurrenz durch ein sich veränderndes globales Kräfteverhältnis ausgesetzt“, bemerkte Stoltenberg mit Blick auf China, das bald die größte Volkswirtschaft der Welt sein werde, und bereits jetzt über das zweitgrößte Verteidigungsbudget der Welt verfüge. Was dies letztlich für die transatlantische Sicherheit, „für Freiheit und Demokratie“ bedeute, dahinter setzte Stoltenberg ein Fragezeichen.

In einem Zusammentreffen mit dem chinesischen Außenminister habe Stoltenberg klargemacht, dass die NATO ein Bündnis sei, das auf Grundwerten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, und individueller Freiheit basiere.

Nukleare Experimentierfreude – Oder vielleicht etwas anderes?

Was bei der NATO schwammig als „andere Dinge“ formuliert wurde, nennt sich bei Vladimir Putin „oder vielleicht etwas anderes.“ Hauptsache ein Gegengift vor zu viel nuklearer Power des jeweils anderen wird gefunden. So ist sich Russlands Präsident Wladimir Putin noch nicht sicher, ob der nukleare Status in die Verfassung aufgenommen werden sollte – neben seinen anderen jüngsten Verfassungsreformen. Schließlich sei klar, dass man eine Atommacht sei.

„Entscheidend ist, dass wir mit den neuesten Waffensystemen immer einen Schritt voraus sind. Diese Systeme müssen jedoch nicht unbedingt nuklear sein. Es könnten Waffen sein, die auf neuen physikalischen Prinzipien basieren, oder vielleicht etwas anderes, über das wir jetzt nicht diskutieren könnten, an dem aber unsere Wissenschaftler und unsere Industrie arbeiten“, sagte Putin.

Der nukleare Status habe aufgrund sich neu entwickelnder Technologien keinen Ewigkeitswert. Bei einem Treffen mit der Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Verfassungsvorschlägen sagte Putin in Anspielung auf die USA:

„Zum Beispiel wurde das Ihnen bekannte Raketenabwehrsystem mit dem Ziel entwickelt, unser nukleares Potenzial zu deaktivieren und unbrauchbar zu machen. Aber nachdem wir Hyperschallwaffen entwickelt hatten, wurden ihre Versuche, dies zu tun, sinnlos. Ihre Ausgaben, die Milliarden betrugen, wurden zu einer Verschwendung.“

Sergej Lawrow kritisiert NATO und EU

Der russische Außenminister Sergej Lawrow äußerte sich unmissverständlich scharf in seiner Kritik gegenüber dem NATO-Russland-Rat, dem er eine Monologhaltung vorwirft: „Im Großen und Ganzen steckt Leere hinter all ihren Gesprächen, die die NATO mit uns zum Dialog über Rüstungskontrolle, Transparenzmaßnahmen oder Vertrauensbildung geführt hat“, sagte er.

Hier wird sehr deutlich, dass die Divergenzen hinsichtlich des Krieges in der Ost-Ukraine sowie der Annexion der Krim durch Russland, die von der NATO als völkerrechtswidrig beurteilt wird, alle Annäherungsversuche ersticken. Der Ukraine-Konflikt bewirkt eine allgegenwärtige Hemmung jeglicher Konsultationen mit Russland. Wenn Lawrow sagt, die NATO erwarte, dass die Ukraine mit offenen Armen dem Bündnis beitrete, lässt er unberücksichtigt, dass die Ukraine in ihren Entscheidungen ein völkerrechtlich souveräner Staat ist, und die NATO aktiv keine Nation dazu motiviert dem Bündnis beizutreten, sondern die Ukraine als „Partner“ betitelt. Indizien für einen vorgesehenen NATO-Beitritt der Ukraine gibt es derzeit schlicht nicht. Russland aus seiner Perspektive trägt der NATO dessen zugesicherte Solidarität gegenüber der Ukraine nach. Lawrow bemerkt, dass die NATO nichts mit der Ukraine zu tun habe. Die Perspektive der vom Krieg getroffenen und geschädigten Ukraine hat Moskau nicht im Blick.

Münchner Sicherheitskonferenz.
NATO-Russland-Treffen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Image source: NATO.

Einzige Hoffnung zu einem Ausweg und Dialog mit Russland, machen daher die Gespräche im Normandie-Format.

Lawrow beurteilt die Initiative Macrons als positiv – Frankreich zeige echte politische und geopolitische Vision, Pragmatismus und Bereitschaft zum Dialog und der Suche nach Lösungen, so Lawrow.

Sergej Lawrow
Der russische Außenminister Sergej Lawrow  und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Image source: NATO.
Sergej Lawrow und Jens Stoltenberg
Sergej Lawrow und Jens Stoltenberg. Image source: NATO.

Auch hinsichtlich der EU hält sich Lawrow nicht in Kritik zurück. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Stampa, kritisierte er die EU scharf, indem sie noch immer in absurder Weise die Aussichten für eine Kooperation mit der internen ukrainischen Schlichtung verbinde.

Weiterhin sagte Lawrow:

„Wir hoffen, dass die neuen Staats- und Regierungschefs des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission auch erkennen werden, dass dieser bösartige Status quo nicht mit dem ehrgeizigen Ziel vereinbar ist, die EU zu einem geostrategischen Akteur der Spitzenklasse zu machen.“

Humanitäre Katastrophe Syriens

In der Unterstützung des Assad-Regimes durch Moskau im Syrienkrieg beruft sich Lawrow mit Verweis auf die in der UN-Resolution 2254 des Weltsicherheitsrates garantierten Souveränität und territorialen Integrität der Arabischen Republik Syriens. Dieser Argumentation fehlt es an glaubwürdiger Substanz, wenn sich einzig der Westen solidarisch gegenüber der Souveränität der Ukraine, insbesondere der Krim zeigt. Diese Destabilisierung begreift der Westen als ernstzunehmende Sicherheitsherausforderung und Bedrohung des Friedens vor der Haustüre Europas. Zerstörung und Wiederaufbau sind die Ziele der syrischen Regierung, was Moskau unterstützt – auf dem Rücken der syrischen Zivilbevölkerung und den Gräbern von über 380.000 Todesopfern, laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Wolodymyr Selenskyj: „Dies ist ein Krieg in Europa“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab zu Bedenken, es sei nicht richtig vom „Krieg in der Ukraine“ zu sprechen: „Dies ist ein Krieg in Europa“, betonte er.

Selenskyj sprach sich für einen Waffenstillstand in der Ostukraine aus, wie es in Paris vereinbart und durch die trilaterale Kontaktgruppe gebilligt wurde. Jedoch seien in den letzten zwei Monaten mehr als 400 Fälle von Beschuss auf ukrainische Stellungen zu verzeichnen. Selenskyj lobte die wirksame Arbeit des OSZE-SMM als eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Sicherheitspakets des Minsker Abkommens.

Volodymyr Zelensky
Ukrainian president Volodymyr Zelensky. Image source: MSC / Kuhlmann

Angesichts der geplanten Kommunalwahlen im Oktober in der gesamten Ukraine, einschließlich bestimmter Gebiete in den Regionen Donezk und Luhansk, plädiert Selenskyj auf eine Durchführung nach ukrainischem Recht, die international als legitim anerkannt werde. Auf der Krim sei dies ohne grundlegende Sicherheits- und politische Bedingungen unmöglich, was gegen die Verfassung der Ukraine und die internationalen Standards demokratischer Wahlen verstoße. Erschwert sei dies zudem durch die Tatsache, dass im vergangenen Jahr in den vorübergehend unkontrollierten Teilen von Donbass 125.000 russische Pässe ausgestellt worden seien, so Selenskyj.

Die Sicherheitsarchitektur Europas müsse ausschließlich auf den Normen und Grundsätzen des Völkerrechts beruhen, die in der Charta der Vereinten Nationen, der Schlussakte von Helsinki und den internationalen Verträgen verankert seien, so der ukrainische Präsident.

„Es ist Zeit zu erkennen, dass wir in einer Welt leben, in der es keinen Krieg mehr eines anderen, und keine Katastrophe eines anderen mehr gibt“, sagte Zelenskyy. – Genau das meinte der damalige Medientheoretiker Marshall McLuhan mit seiner weltbekannten These vom „global village“ („globales Dorf“). Nein, die Welt ist zu einem globalen Dorf zusammengeschrumpft und trägt gemeinsame Verantwortung.

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Von Kriegsministern und dem Kampf um Werte – Ohne Garantie

Von Michelle Eickmeier

„Das große Puzzle: Wer fügt die Puzzleteile wieder zusammen?“ – so zynisch lautete das nahezu kindlich-naiv anmutende Motto der 55. Münchner Sicherheitskonferenz, das ebenso gut hätte heißen können „Ist die Welt noch zu retten?“, oder besser „Wer rettet jetzt die Welt?“. In dieser Mission bieten sich gleich mehrere Weltmächte die Stirn, allen voran die USA.

Die Vereinigten Staaten als „Führer der freien Welt“ führten wieder einmal auf der Weltbühne, wenn man US-Vizepräsident Mike Pence in seiner Lobeshymne auf US-Präsident Donald Trump glauben mag. Aber natürlich geht es in erster Linie um den stetig beschworenen Zusammenhalt der Allianz, des transatlantischen Bündnisses, kurz der NATO. Und den Europas – natürlich. Dabei geht es vor allem um die Verteidigung von Werten, so zwischen Multilateralismus, Nationalismus und Unilateralismus. „Interessen und Werte, beides muss uns als NATO-Verbündete leiten“, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Dies müssen sich die Bündnispartner aber erst einmal verdienen, und zwar durch die Erhöhung der Verteidigungsausgaben bis 2024 – angesprochen fühlen soll sich vor allem Deutschland – und die Aufgabe des Gasprojektes Nord Stream 2 – gemeint ist wieder Deutschland. Denn dies gibt Pence Deutschland zu Bedenken:

„Wir können die Sicherheit unserer Verbündeten im Westen nicht garantieren, solange sie vom Osten abhängig sind.“

Soviel zur Kritik an den deutsch-russischen Beziehungen, von einer US-Regierung, deren Präsident heute nicht weniger als gestern knietief in der Russland-Affäre steckt.

Die USA dankten allen europäischen Partnern, die sich ganz klar gegen Nord Stream 2 positioniert hätten und wollten auch, dass andere Länder sich so positionieren, legte Pence nach, der offen bekennt, die USA wollten zum weltweit größten Öl- und Gasproduzenten werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel konterte, die Abhängigkeit Europas von russischem Gas hänge nicht davon ab, ob die Gas-Pipeline gebaut werde oder nicht.

„Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül, egal, ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt.“

Dabei ist bereits ein ganz anderes Rohr als die Gas-Pipeline auf Europa gerichtet, zumindest theoretisch – das russische Raketensystem SSC-8, das nach dem Austritt der USA aus dem INF-Vertrag eine ganz neue Dimension der Sicherheitsarchitektur für Europa bedeutet.

Addiert man die US-amerikanischen Ansprüche an Deutschland mit dem kürzlich aufgekündigten INF-Vertrag auf, macht das nicht im Geringsten den Anschein eines neuen Kalten Krieges, der sich wie eine Mauer des Anti-Multilateralismus mitten durch Europa ziehen soll.

Doch die europäischen NATO-Verbündeten brauchen sich nicht zu sorgen, denn Trump habe NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg unmittelbar nach seinem Antritt als US-Präsident gesagt, er habe immer gesagt, dass die NATO obsolet sei, aber die NATO sei nicht mehr obsolet.

Auch Russland hat kein Interesse an einem neuen Kalten Krieg, denn das Raketensystem ist nicht so gefährlich wie es aussieht, da es nicht gegen den INF-Vertrag verstoße, wie es Moskau entgegen der erdrückenden Beweislage der USA und der Einigkeit aller NATO-Mitglieder in diesem Punkt verlauten lässt.

Hier erinnerte Stoltenberg nebenbei an die berüchtigte Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin:

„Es war genau auf dieser Bühne auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, als Präsident Putin erstmals öffentlich den Wunsch für Russland geäußert hatte, den INF-Vertrag zu verlassen.“

In Europa kann man auf die Verteidigung  des US-Bündnispartners auf der anderen Seite des großen Teichs, der führenden freien Welt zählen. Die Ansprache des früheren US-Vizepräsidenten Joe Biden wirkte im Kontrast zur Rede von Pence wie ein Tranquilizer im Glauben an das „Andere“, alte Amerika, das völlig bedingungslos zu seinen europäischen Bündnispartnern hält. Doch Tatsachen sind es noch immer, die zählen, wenn man sich des Vertrauens des Partners versichern will: Als neu gewonnene militärische Abschreckung und Verteidigung kommt die multinationale Eingreiftruppe im Baltikum und Polen zum Einsatz und die kanadischen und amerikanischen Truppen in Europa, wobei die NATO-Einsatzkräfte in den letzten Jahren auf rund 40.000 Soldaten verdreifacht wurden. Mit dem Anstieg  der US-Streitkräfte in Europa versichert Stoltenberg die Bündnistreue der USA. Die NATO setzt die größte Verstärkung ihrer kollektiven Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges als Reaktion auf die verstärkte Präsenz Russlands im Norden, im Baltikum, im Schwarzen Meer und auch im Mittelmeer ein.

Und letztendlich garantiert Artikel fünf des Nordatlantikvertrags für die Sicherheit Europas Bündnispartner, so wie beim einzigen ausgerufenen Bündnisfall in der Geschichte der NATO, dem 11. September.

USA:  „Neue militärische und wirtschaftliche Stärke“

Bis 2024 würden die USA erwarten, dass alle Bündnispartner 20 Prozent der Verteidigungsausgaben in Beschaffung investierten, wiederholte Pence die Forderung Trumps. In der Erklärung der Staats- und Regierungschefs wurde die Deadline bis 2024 angesetzt, dass bis dahin etwa zwei Drittel der Verbündeten nationale Pläne umzusetzen haben, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ihre Verteidigung auszugeben. Bereits auf dem NATO-Gipfel in Brüssel vergangenen Jahres sorgte Trumps Äußerung, die USA sollen Deutschland beschützen, aber Deutschland beziehe seine Energie durch Erdgas von Russland, für eine leichte Erschütterung innerhalb der Allianz, da es innerhalb des  transatlantischen Bündnis keine Unterscheidung zwischen voll- oder minderwertigen NATO-Mitgliedern gibt.

Nach den zuletzt vorgelegten offiziellen Zahlen zu den Verteidigungsausgaben konnte die Bundesrepublik unverändert lediglich 1,24 Prozent seines BIP für Verteidigungsausgaben erreichen und kommt dem Zwei-Prozent-Ziel somit nicht näher. Jedoch ist erkennbar, dass die Verteidigungsausgaben Deutschlands kontinuierlich ansteigen. Die Verteidigungsausgaben, die nach der Annexion der Krim bei allen Verbündeten rasant anstiegen, seien die höchsten seit dem Ende des Kalten Krieges, so Stoltenberg. Die Quote der USA, die mit rund 600 Milliarden US-Dollar insgesamt die mit Abstand höchste ist (Zahlen bis 2017, Quelle: Munich Security Report 2019), war hingegen seit 2010 leicht gesunken und lag 2018 bei 3,5 Prozent.

Pence unterstrich, die USA erhöhten ihre Finanzmittel für die US-Präsenz in Europa seit dem Amtsantritt Trumps um 40 Prozent und ergriffen Maßnahmen, um die stärksten Streitkräfte in der Geschichte der Welt noch stärker zu machen. Trump habe die größte Investition in die nationale Verteidigung seit Ronald Reagan veranlasst, die Modernisierung seines Nukleararsenals und eine neue Strategie der Raketenabwehr.

Mit Blick auf die geforderten Verteidigungsausgaben stellte Außenminister Heiko Maas klar:

„Sicherheit bemisst sich für uns nicht allein im wachsenden Verteidigungsbudget.“

Zudem hob Maas die Rolle eines handlungsfähigen Europas hervor, dass nicht bloß als „Objekt globaler Politik“ zu sehen sei.

Lawrow: EU obsolet

Ob es ein Freudscher Versprecher oder Kalkül war, wer weiß das schon – nachdem der russische Außenminister Sergej Lawrow den britischen Verteidigungsminister Gavin Williamson irrtümlich mit Kriegsminister betitelte, sparte er nicht mit Kritik an der EU. Eine bedeutende Rolle spricht Lawrow der EU gänzlich ab: Praktisch gesehen verfüge die EU über keine Monopolstellung mehr bei der Gestaltung der gesamtregionalen Integration, sagte er. „Die Europäer haben sich in eine sinnlose Rivalität mit Russland hineinziehen lassen. Durch die Sanktionen aus Übersee haben sie milliardenschwere Verluste eingebüßt.“ Lawrow kritisierte die NATO-Ost-Erweiterung und die Unterstützung der EU für die Ukraine. 

Mogherini: Iran-Abkommen ohne EU obsolet

Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik machte deutlich, wie stark die EU als Akteur auf der Weltbühne in Wahrheit ist, indem sie den gegenwärtigen Fortbestand des Iran-Abkommens ohne den EU-Einsatz, gefolgt von ihren Mitgliedsstaaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien, in Frage stellte. „Das Abkommen wäre schon längst im Mai letzten Jahres beendet“, sagte Mogherini. Wenn die EU ihre Kräfte vereine, dann sei sie eine große Macht, wirtschaftlich und auch im Bereich Sicherheit. Es stehe in den EU-Verträgen, dass die NATO der Pfeiler für die Bündnisverteidigung sei. Ein in der Verteidigung gestärktes Europa sei eine Möglichkeit, die NATO zu stärken, ohne Konkurrenz und Wettbewerb. Der US-Rückzug aus dem Iran-Abkommen allerdings habe sie durch sekundäre Sanktionen durch die USA in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit beschränkt.


Auch Maas unterstrich, ohne das Iran-Abkommen wäre die Region einen Schritt näher an einer offenen Konfrontation mit allen Auswirkungen, die das für die Sicherheitslage in Europa hätte, und warnte vor einer militärisch genutzten Urananreicherung für den Fall, dass der Iran aus dem Abkommen herausgetrieben werde.

Kürzlich stellte der Iran anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten der Islamischen Revolution von 1979 seine neue Langstreckenrakete mit einer Reichweite von 1.300 km vor.

Reuters
Ende der Rüstungskontrolle? – Ultimatum zur Rettung des INF-Vertrags abgelaufen