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Verfassungsreform in Russland – Freund oder Feind?

Von Michelle Eickmeier

Der jüngste Machtwechsel innerhalb des Kremls ist derzeit das Topthema in Russland, was auch die Trends in den sozialen Medien anzeigen. Der Rücktritt der gesamten russischen Regierung unter Premierminister Dmitri Medwedew, und damit des zweitmächtigsten Mannes im Staat, kam nur wenige Stunden nach der Ankündigung einer Verfassungsänderung durch Präsident Wladimir Putin während seiner alljährlichen Ansprache zur Lage der Nation, die eine Stärkung der Befugnisse von Parlament und Kabinett vorsieht. Somit würde der Staatsduma das Recht eingeräumt, der vom Präsidenten für das Amt des Premierministers vorgeschlagenen Kandidatur zuzustimmen. Analysten sehen in diesem Schritt eine beabsichtigte Machtabsicherung Putins, dessen Amtszeit 2024 enden wird. Medwedew, der nach nur einer Amtszeit als Präsident im Jahre 2012 seinem langjährigen Verbündeten Putin die Wiedererlangung des Präsidentenamtes ermöglichte und daher unter Beobachtern als „Platzhalter“ gilt, war seit 2012 Russlands Premierminister.

Was käme auf Europa und Russland zu, wenn Putin auch nach dem Ende seiner derzeitigen Amtszeit als Präsident im Jahr 2024 weiterhin an der Spitze innerhalb des Kremls regieren wird?

Die neue russische Regierung wurde bereits gebildet. Auch ein in erster Lesung von Präsident Wladimir Putin der Staastduma vorgelegtes umfassendes Gesetz zur Verfassungsreform hat das Parlament bereits einstimmig gebilligt. Die zweite Lesung ist für den 11. Februar vorgesehen. Im russischen Staatsfernsehen hatte der damalige Ministerpräsident Dmitri Medwedew den Rücktritt der russischen Regierung erklärt. Putin dankte Medvedev für seinen Dienst, sagte jedoch, das Kabinett des Premierministers habe nicht alle seine Ziele erreicht. Medwedew sagte, der Präsident solle für die von ihm vorgeschlagene Verfassungsreform, die gravierende Änderungen in der „Balance zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative“ vorsähen, die Möglichkeit haben, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.“ Dmitri Medwedew hat bereits seine neue Position als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats eingenommen. Michail Mischustin, bislang Chef der Steuerbehörde, ist zum neuen Ministerpräsidenten ernannt worden.

Gewaltenteilung aus der Balance

Kritiker bemängeln die Schnelligkeit und den Mangel an Demokratie dieses Prozesses, der die Gewaltenteilung störe. Eine Institution über den Präsidenten zu stellen, würde „nichts anderes als eine Diarchie bedeuten – eine absolut ruinöse Situation für ein Land wie Russland“, positioniert sich Putin.

Der tiefgreifende Charakter der Änderungen wirke sich so stark auf die Bedeutung der grundlegenden Bestimmungen der Verfassung aus, dass jedes andere Verfahren zur Annahme von Änderungsanträgen Zweifel an der Legitimität solcher umfassenden Änderungen hervorrufe, gibt das EU-Russland-Forum für Zivilgesellschaft (EU-Russia Civil Society Forum) zu Bedenken. Weiter heißt es:

„Diese Änderungen würden nicht nur die Befugnisse des Präsidenten stärken, die Unabhängigkeit der Justiz schwächen, die Regierungsführung auf Kosten der Regionen zentralisieren und die Autonomie der lokalen Selbstverwaltung aufheben, sondern auch den Staatsrat […].“

Es befürchtet eine Beeinträchtigung der Einhaltung internationaler Verpflichtungen durch die Russische Föderation. Der Vorstand des Forums der Zivilgesellschaft EU-Russland fordert eine genaue Beobachtung der Einhaltung dieser Verpflichtungen durch den Europarat, insbesondere dem für Menschenrechte zuständigen Kommissionsmitglied, dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung.

Medwedew: „Es war manchmal sehr schwierig“

Einen Tag nach seinem Rücktritt als russischer Premier bedankte sich Medwedew bei allen Regierungsmitgliedern für die „großartige Arbeit“ und erklärte über einen verlinkten Tweet:

„[…] Es war manchmal sehr schwierig. Aber wir haben Lösungen gefunden, die unserem Land geholfen haben, voranzukommen und sich zu entwickeln. […] Die ganze Zeit arbeitete die Regierung als ein Team – ein Team von Gleichgesinnten, auf die ich mich verlassen und denen ich vertraute. Auch die neuen Großaufgaben, die der russische Präsident in seiner Ansprache gestellt hat, erfordern neue Ansätze. Ich bin sicher, dass die Regierung, die in naher Zukunft ernannt wird, damit fertig wird. Ich wünsche ihm viel Erfolg bei seiner Arbeit und der Umsetzung aller seiner Pläne.“

Medwedew nannte den Zeitfaktor als weiteren Beweggrund für den Regierungsrücktritt. In einem Interview mit Channel One erklärte Medwedew, er sei zu dem Schluss gekommen, dass in den Regierungen der Sowjet- und Zarenzeit und der jüngeren Geschichte Russlands niemand mehr als acht Jahre lang die Regierung geleitet habe. Weiterhin betonte er die „komplizierte Arbeit, Entscheidungen in äußerst schwierigen Fragen zu treffen“ und lobte die Arbeit seines Kabinetts unter den Sanktionen, die Russland seit 2014 aufgrund des angekündigten Referendums auf der Krim durch die EU, die Vereinigten Staaten und andere Staaten auferlegt wurden.

Medwedew sprach von „einer Reihe von schmerzhaften Entscheidungen und ungelösten Problemen“, sei aber „im Allgemeinen mit dem Stand der Dinge und der Funktionsweise der höchsten Exekutivbehörde zufrieden“.

Wer zwischen den Zeilen liest, erkennt zwar das unmissverständliche D’accord mit seinem langjährigen Amtskollegen Putin, doch auch die Sorge um die Professionalität der neuen Regierungsanwärter, die von heute auf morgen eine erfahrene Regierungstruppe ersetzen sollen. Auch wenn der Regierungswechsel nicht überraschend für Medwedew gekommen sein mag, setzt er ein Fragezeichen hinter diesen Prozess, auf den er nur bedingt, wenn gar keinen Einfluss hat.

Putin hatte die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Bewertung seiner vorgeschlagenen Verfassungsreform angeordnet. Hierzu zählen kremlfreundliche Gesetzgeber sowie unter anderem der Pianist Denis Matsuev und die ehemalige olympische Stabhochspringerin Yelena Isinbayeva.

Der Vorsitzende der Partei „Einiges Russland“, Dmitry Medvedev, schlug auf einer Sitzung des Präsidiums des Hohen Rates vor, die Verantwortung für die Arbeit der lokalen Exekutive zu stärken. Er ist überzeugt, dass dafür mit ihren Vertretern in der Legislative und in der Exekutive alle notwendigen Werkzeuge vorhanden sind.

Medwedew erklärte, die Unterstützung der neuen Regierung bedeute parteipolitische Verantwortung, nicht nur für Parteimitglieder, sondern für alle Bürger des Landes. Gleichzeitig solle das „Einige Russland“ die Arbeit der Regierung objektiv bewerten und sich in Bezug auf die Ausführungsqualität sowie der Umsetzung mit der Regierung abstimmen, wobei die Partei die Exekutive nicht ersetzen dürfe, so der Parteivorsitzende.

Bereits zuvor, wenige Tage nach der angekündigten Verfassungsreform, erklärte Medwedew in einem Interview mit dem Programm Vremya, dass die wichtigsten Aufgaben der Partei mit der Verbesserung des Wohlergehens der Menschen zusammenhängen werden. Die Partei habe eine große Verantwortung für die Entwicklung des Landes und gegenüber den russischen Bürgern, betonte er, der die Lösung auch in der Realisierung nationaler Projekte sieht. Auf Führungsebene bemühe man sich sehr, bei der Umsetzung dieser Aufgaben zu helfen, so Medvedev.

In diesem Vorhaben trifft Medwedew auf einen wunden Punkt: Viele Bürger sind von Armut und der jüngsten Anhebung des Rentenalters betroffen, das Land erlebte immer wieder große Protestaktionen. Immer wieder kommt es zu Festnahmen der russischen Oppositionsfigur Aleksei Navalny, der sich am Präsidentschaftswahlkampf 2018 beteiligte, und anderen Oppositionellen, was international als demokratiefeindlich kritisiert wird. Bei Protesten gegen die Rentenreform 2018 in Moskau, wurden mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen. Der offizielle Vorwurf lautetnicht genehmigte Kundgebungen organisiert zu haben und damit wiederholt gegen die bestehenden Vorschriften der Durchführung öffentlicher Veranstaltungen verstoßen zu haben.

Auch hinsichtlich Medwedew selbst zeigt sich die Nation gespalten, sehen doch viele in ihm einen „Platzhalter“, gar eine „Marionette“ Putins, was Medwedew bestreitet. Bereits 2011 anlässlich seines Verzichts einer weiteren Amtszeit als Präsident der Russischen Föderation sagte Medwedew in einem Interview mit dem Nachrichtensender RT:

„Mein größtes Ziel ist es, für mein Land und meine Leute nützlich zu sein. Wenn Sie diesen Ehrgeiz nicht haben, sollten Sie nicht in die Politik einsteigen.“

Er betonte die politische Einheit mit seinem Verbündeten Putin, und sagte, sie gehörten beide derselben politischen Kraft an, ihre Sichtweisen seien sehr ähnlich vor allem im Bereich strategischer Fragen, und wie sich das Land weiterentwickeln solle. Daher sei eine Rivalität überflüssig.

Eines scheint klar, was Putin will, bekommt Putin auch – umso mehr durch die Absicherung seiner Machtposition mittels einer Verfassungsreform.

Was bringt Putin Europa und der Welt?

Was die nächsten Jahre mit Putin an der Spitze der Regierung für Europa und die Welt bedeuten werden, sind die großen außen- und sicherheitspolitischen Fragen.

Nuklearabkommen INF vs. New-START

Nachdem die USA das wichtige Nuklearabkommen, den INF-Vertrag mit Russland einseitig aufgelöst hatten, bietet Putin neue Verhandlungen zum Rüstungskontrollvertrag New-START (Strategic Arms Reduction Treaty) an.  Putin äußerte sich besorgt über die Zukunft des New-START-Abkommens und kritisierte das mangelnde Interesse der USA. Es ist ein Zeichen der Kooperation, auf das die USA bisher nicht eingegangen sind. 

Im Raum steht die Angst vor einem neuen Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und Russland in Europa sowie auf asiatisch-pazifischem Terrain, vor dem Beobachter warnen. Im Hintergrund steht der Vorwurf der Entwicklung und des Einsatzes des russischen Raketensystems 9M729, der laut NATO gegen den INF-Vertrag verstoße. Diese Raketen seien besonders gefährlich, weil sie schwer zu lokalisieren, mobil und nuklearfähig seien und zudem die Warnzeit verkürzen. Putin bestreitet einen INF-Verstoß. – USA, it’s your turn!

Krisenherd Ukraine

Der im April 2020 sechs Jahre andauernde Krieg in der Ostukraine hat nach Zahlen der Uno-Menschenrechtsbeobachtermission (OHCHR) bereits 12.447 Todesopfer gefordert, darunter 3.320 Zivilisten. Während die Souveränität der durch Russland annektierten Krim international weiterhin als primär ukrainisches Staatsgebiet angesehen wird, machte Putin unmissverständlich klar, in diesem Punkt zu keinem Kompromiss bereit zu sein. Die Krim bleibt voraussichtlich bis 2024 in russischer Hand, wobei eine Rückgängigmachung nach diesem Zeitpunkt als noch unwahrscheinlicher gelten mag. Fälle wie die Konfrontation Russlands mit der Ukraine im Schwarzen Meer, in der Straße von Kertsch von 2018, demonstrieren die schweren Spannungen zwischen Kiew und Moskau. Eine Verschärfung der Situation im besetzten Teil der Ostukraine ist ohne den vollständigen Abzug der prorussischen Separatisten weiterhin hoch, wenngleich Gespräche im „Normandie-Format“ in Berlin und Paris auf eine friedliche Lösung drängen. Russia, it’s your turn!

Syrienkrieg

Der Schandfleck der Welt bleibt weiterhin Syrien, dessen Zivilbevölkerung von einem Bombenmeer und tödlichen Giftgasangriffen ausgezehrt ist. Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind über 380.000 Menschen getötet worden, darunter seien 115.000 Zivilisten, davon rund 22.000 Kinder. Russland verhinderte mehrfach eine UN-Resolution im Weltsicherheitsrat zur Untersuchung von Verbrechen in Syrien durch den Internationalen Strafgerichtshof. Menschenrechtsbeobachter sehen in diesem Vorgehen ein Blockieren im Aufklärungsprozess sowie eine Unterstützung der Gräueltaten Baschar al-Assads, und beschuldigen Russland an vorderster Front an der Tötung von Zivilisten beteiligt gewesen zu sein, indem es Krankenhäuser gezielt angegriffen habe. Wird Putin den Diktator Assad weiterhin unterstützen? – Russia, it’s your turn!

Hybride Bedrohung

Sowohl die NATO als auch die EU haben sie als Bedrohung eingestuft: Die Hybrid-Taktiken Moskaus zehren seit der Annexion der Krim an der Oberfläche des transatlantischen Bündnisses. EU und NATO sind bereits 2016 eine enge  Kooperation im Kampf gegen hybride Bedrohungen eingegangen. Die NATO hatte bereits auf dem  Gipfeltreffen in Warschau 2016 vereinbart, ein hybrider Angriff könne den Artikel 5 des Nordatlantikvertrags und damit den Bündnisfall auslösen. Seitdem erkennt die NATO die Bekämpfung hybrider Kriegsführung als Teil ihrer kollektiven Verteidigung an. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren, scheint sich diese aggressive Lage derzeit ein wenig beruhigt zu haben. Im Interview mit euronews von 2018 sagte Medwedew als damaliger Ministerpräsident, notfalls asymmetrisch auf Wirtschaftssanktionen und Handelskriege reagieren zu wollen:

„In der heutigen Welt gibt es verschiedene Formen der Reaktion, einschließlich, wie gesagt, asymmetrischer Reaktionen. Dies ist nicht unbedingt militärischer Natur. Es ist nicht erforderlich, mit angemessenen wirtschaftlichen Mitteln auf wirtschaftliche Bedrohungen oder wirtschaftliche Erpressungen zu reagieren.“

Gerade Hybrid-Szenarien sind kaum kalkulierbar. Die künftige Aktivität der asymmetrischen Kriegsführung wird stark vom Vorgehen der Bündnispartner abhängen und damit eine bedeutende Rolle für Europa spielen. Eine weitere Spaltung der Europäischen Union (EU) nach Art des Brexits darf Europa nicht erleiden, da sie eine Schwächung bedeuten. Moskau bestreitet das Ansinnen, die EU schwächen zu wollen, doch genau in diesem Punkt hatte die EU die rote Karte gezeigt, was sie weiterhin wachsam verfolgen sollte. Russland wird die EU als starken Partner wahrnehmen, was die größte Friedensprävention sein kann. Auch andere Staaten sinnen nach einer Schwächung der EU, weshalb sie ihre Souveränität im politischen Diskurs behaupten muss, weniger im militärischen Bereich. Eine erzielte Schwächung der EU rückt die alte russische Kritik an der NATO-Osterweiterung hierbei in den Hintergrund. – EU, it’s your turn!

Nord Stream 2-Diskurs

Als einen der wenigen gemeinsamen Nenner in den schwierigen Deutschland-Russland-Beziehungen könnte das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gesehen werden. Gleichzeitig bietet es international die höchste Angriffsfläche. Die USA kritisieren den Bau scharf. So mahnte US-Vizepräsident Mike Pence auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz in Anspielung auf Deutschland, die USA könne die Sicherheit seiner Verbündeten im Westen nicht garantieren, solange sie vom Osten abhängig seien. Gleichzeitig bekannte er offen, die USA wollten zum weltweit größten Öl- und Gasproduzenten werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel konterte, die Abhängigkeit Europas von russischem Gas hänge nicht davon ab, ob die Gas-Pipeline gebaut werde oder nicht. Das Projekt ist kaum als Hybrid-Taktik Moskaus zu verstehen, zu alt ist sein Gedanke mit Nord Stream 1, zu wichtig ist die Fertigstellung für beide, sowohl Deutschland als auch Russland. Mit Russland Geschäfte zu machen und den USA hiermit ein gesundes Selbstbewusstsein zu demonstrieren ist wichtig und richtig für Deutschland. Dabei darf Deutschland nicht seine Glaubwürdigkeit einbüßen – gleichzeitig muss in Sachen Ukraine beschwichtigt werden und eine neue Politik auf Augenhöhe her. Ein erster Schritt in diese Richtung und ein eindeutiges Signal wären die schrittweise Aufhebung der Sanktionen. – Germany, it’s your turn!

AP/Reuters/RFE/RL/RT/РБК

 

Von Kriegsministern und dem Kampf um Werte – Ohne Garantie

Von Michelle Eickmeier

„Das große Puzzle: Wer fügt die Puzzleteile wieder zusammen?“ – so zynisch lautete das nahezu kindlich-naiv anmutende Motto der 55. Münchner Sicherheitskonferenz, das ebenso gut hätte heißen können „Ist die Welt noch zu retten?“, oder besser „Wer rettet jetzt die Welt?“. In dieser Mission bieten sich gleich mehrere Weltmächte die Stirn, allen voran die USA.

Die Vereinigten Staaten als „Führer der freien Welt“ führten wieder einmal auf der Weltbühne, wenn man US-Vizepräsident Mike Pence in seiner Lobeshymne auf US-Präsident Donald Trump glauben mag. Aber natürlich geht es in erster Linie um den stetig beschworenen Zusammenhalt der Allianz, des transatlantischen Bündnisses, kurz der NATO. Und den Europas – natürlich. Dabei geht es vor allem um die Verteidigung von Werten, so zwischen Multilateralismus, Nationalismus und Unilateralismus. „Interessen und Werte, beides muss uns als NATO-Verbündete leiten“, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Dies müssen sich die Bündnispartner aber erst einmal verdienen, und zwar durch die Erhöhung der Verteidigungsausgaben bis 2024 – angesprochen fühlen soll sich vor allem Deutschland – und die Aufgabe des Gasprojektes Nord Stream 2 – gemeint ist wieder Deutschland. Denn dies gibt Pence Deutschland zu Bedenken:

„Wir können die Sicherheit unserer Verbündeten im Westen nicht garantieren, solange sie vom Osten abhängig sind.“

Soviel zur Kritik an den deutsch-russischen Beziehungen, von einer US-Regierung, deren Präsident heute nicht weniger als gestern knietief in der Russland-Affäre steckt.

Die USA dankten allen europäischen Partnern, die sich ganz klar gegen Nord Stream 2 positioniert hätten und wollten auch, dass andere Länder sich so positionieren, legte Pence nach, der offen bekennt, die USA wollten zum weltweit größten Öl- und Gasproduzenten werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel konterte, die Abhängigkeit Europas von russischem Gas hänge nicht davon ab, ob die Gas-Pipeline gebaut werde oder nicht.

„Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül, egal, ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt.“

Dabei ist bereits ein ganz anderes Rohr als die Gas-Pipeline auf Europa gerichtet, zumindest theoretisch – das russische Raketensystem SSC-8, das nach dem Austritt der USA aus dem INF-Vertrag eine ganz neue Dimension der Sicherheitsarchitektur für Europa bedeutet.

Addiert man die US-amerikanischen Ansprüche an Deutschland mit dem kürzlich aufgekündigten INF-Vertrag auf, macht das nicht im Geringsten den Anschein eines neuen Kalten Krieges, der sich wie eine Mauer des Anti-Multilateralismus mitten durch Europa ziehen soll.

Doch die europäischen NATO-Verbündeten brauchen sich nicht zu sorgen, denn Trump habe NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg unmittelbar nach seinem Antritt als US-Präsident gesagt, er habe immer gesagt, dass die NATO obsolet sei, aber die NATO sei nicht mehr obsolet.

Auch Russland hat kein Interesse an einem neuen Kalten Krieg, denn das Raketensystem ist nicht so gefährlich wie es aussieht, da es nicht gegen den INF-Vertrag verstoße, wie es Moskau entgegen der erdrückenden Beweislage der USA und der Einigkeit aller NATO-Mitglieder in diesem Punkt verlauten lässt.

Hier erinnerte Stoltenberg nebenbei an die berüchtigte Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin:

„Es war genau auf dieser Bühne auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, als Präsident Putin erstmals öffentlich den Wunsch für Russland geäußert hatte, den INF-Vertrag zu verlassen.“

In Europa kann man auf die Verteidigung  des US-Bündnispartners auf der anderen Seite des großen Teichs, der führenden freien Welt zählen. Die Ansprache des früheren US-Vizepräsidenten Joe Biden wirkte im Kontrast zur Rede von Pence wie ein Tranquilizer im Glauben an das „Andere“, alte Amerika, das völlig bedingungslos zu seinen europäischen Bündnispartnern hält. Doch Tatsachen sind es noch immer, die zählen, wenn man sich des Vertrauens des Partners versichern will: Als neu gewonnene militärische Abschreckung und Verteidigung kommt die multinationale Eingreiftruppe im Baltikum und Polen zum Einsatz und die kanadischen und amerikanischen Truppen in Europa, wobei die NATO-Einsatzkräfte in den letzten Jahren auf rund 40.000 Soldaten verdreifacht wurden. Mit dem Anstieg  der US-Streitkräfte in Europa versichert Stoltenberg die Bündnistreue der USA. Die NATO setzt die größte Verstärkung ihrer kollektiven Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges als Reaktion auf die verstärkte Präsenz Russlands im Norden, im Baltikum, im Schwarzen Meer und auch im Mittelmeer ein.

Und letztendlich garantiert Artikel fünf des Nordatlantikvertrags für die Sicherheit Europas Bündnispartner, so wie beim einzigen ausgerufenen Bündnisfall in der Geschichte der NATO, dem 11. September.

USA:  „Neue militärische und wirtschaftliche Stärke“

Bis 2024 würden die USA erwarten, dass alle Bündnispartner 20 Prozent der Verteidigungsausgaben in Beschaffung investierten, wiederholte Pence die Forderung Trumps. In der Erklärung der Staats- und Regierungschefs wurde die Deadline bis 2024 angesetzt, dass bis dahin etwa zwei Drittel der Verbündeten nationale Pläne umzusetzen haben, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ihre Verteidigung auszugeben. Bereits auf dem NATO-Gipfel in Brüssel vergangenen Jahres sorgte Trumps Äußerung, die USA sollen Deutschland beschützen, aber Deutschland beziehe seine Energie durch Erdgas von Russland, für eine leichte Erschütterung innerhalb der Allianz, da es innerhalb des  transatlantischen Bündnis keine Unterscheidung zwischen voll- oder minderwertigen NATO-Mitgliedern gibt.

Nach den zuletzt vorgelegten offiziellen Zahlen zu den Verteidigungsausgaben konnte die Bundesrepublik unverändert lediglich 1,24 Prozent seines BIP für Verteidigungsausgaben erreichen und kommt dem Zwei-Prozent-Ziel somit nicht näher. Jedoch ist erkennbar, dass die Verteidigungsausgaben Deutschlands kontinuierlich ansteigen. Die Verteidigungsausgaben, die nach der Annexion der Krim bei allen Verbündeten rasant anstiegen, seien die höchsten seit dem Ende des Kalten Krieges, so Stoltenberg. Die Quote der USA, die mit rund 600 Milliarden US-Dollar insgesamt die mit Abstand höchste ist (Zahlen bis 2017, Quelle: Munich Security Report 2019), war hingegen seit 2010 leicht gesunken und lag 2018 bei 3,5 Prozent.

Pence unterstrich, die USA erhöhten ihre Finanzmittel für die US-Präsenz in Europa seit dem Amtsantritt Trumps um 40 Prozent und ergriffen Maßnahmen, um die stärksten Streitkräfte in der Geschichte der Welt noch stärker zu machen. Trump habe die größte Investition in die nationale Verteidigung seit Ronald Reagan veranlasst, die Modernisierung seines Nukleararsenals und eine neue Strategie der Raketenabwehr.

Mit Blick auf die geforderten Verteidigungsausgaben stellte Außenminister Heiko Maas klar:

„Sicherheit bemisst sich für uns nicht allein im wachsenden Verteidigungsbudget.“

Zudem hob Maas die Rolle eines handlungsfähigen Europas hervor, dass nicht bloß als „Objekt globaler Politik“ zu sehen sei.

Lawrow: EU obsolet

Ob es ein Freudscher Versprecher oder Kalkül war, wer weiß das schon – nachdem der russische Außenminister Sergej Lawrow den britischen Verteidigungsminister Gavin Williamson irrtümlich mit Kriegsminister betitelte, sparte er nicht mit Kritik an der EU. Eine bedeutende Rolle spricht Lawrow der EU gänzlich ab: Praktisch gesehen verfüge die EU über keine Monopolstellung mehr bei der Gestaltung der gesamtregionalen Integration, sagte er. „Die Europäer haben sich in eine sinnlose Rivalität mit Russland hineinziehen lassen. Durch die Sanktionen aus Übersee haben sie milliardenschwere Verluste eingebüßt.“ Lawrow kritisierte die NATO-Ost-Erweiterung und die Unterstützung der EU für die Ukraine. 

Mogherini: Iran-Abkommen ohne EU obsolet

Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik machte deutlich, wie stark die EU als Akteur auf der Weltbühne in Wahrheit ist, indem sie den gegenwärtigen Fortbestand des Iran-Abkommens ohne den EU-Einsatz, gefolgt von ihren Mitgliedsstaaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien, in Frage stellte. „Das Abkommen wäre schon längst im Mai letzten Jahres beendet“, sagte Mogherini. Wenn die EU ihre Kräfte vereine, dann sei sie eine große Macht, wirtschaftlich und auch im Bereich Sicherheit. Es stehe in den EU-Verträgen, dass die NATO der Pfeiler für die Bündnisverteidigung sei. Ein in der Verteidigung gestärktes Europa sei eine Möglichkeit, die NATO zu stärken, ohne Konkurrenz und Wettbewerb. Der US-Rückzug aus dem Iran-Abkommen allerdings habe sie durch sekundäre Sanktionen durch die USA in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit beschränkt.


Auch Maas unterstrich, ohne das Iran-Abkommen wäre die Region einen Schritt näher an einer offenen Konfrontation mit allen Auswirkungen, die das für die Sicherheitslage in Europa hätte, und warnte vor einer militärisch genutzten Urananreicherung für den Fall, dass der Iran aus dem Abkommen herausgetrieben werde.

Kürzlich stellte der Iran anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten der Islamischen Revolution von 1979 seine neue Langstreckenrakete mit einer Reichweite von 1.300 km vor.

Reuters
Ende der Rüstungskontrolle? – Ultimatum zur Rettung des INF-Vertrags abgelaufen

Atlantis(che)-Stimmung – Die NATO und der Trump-Effekt

Von Michelle Eickmeier

„Wir hatten exzellenten Orangensaft und etwas Toast, und etwas Fruchtsalat, ein gutes Frühstück, bezahlt von den Vereinigten Staaten“, scherzte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg über das morgendliche Frühstück mit US-Präsident Donald Trump am Rande des NATO-Gipfels und löste damit breites Gelächter aus. Zur Frage, ob sich Trumps Beharren auf die Verteidigungsausgaben kontraproduktiv auf den Zusammenhalt des Bündnisses auswirken könnte, sagte Stoltenberg, „was wir sehen, ist, dass die Verteidigungsausgaben steigen, und ich denke, das ist es, was ich dazu sagen muss. [Gelächter im Saal] Tatsache ist, dass die Verteidigungsausgaben steigen.“ Stoltenberg dankte Trump für „seine Führungsrolle bei den Verteidigungsausgaben“. Es habe eindeutig Auswirkungen.

Beim Frühstück schmierte Trump dem NATO-Generalsekretär nochmal dick aufs Brot, dass die Vereinigten Staaten 4,2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgäben, während Deutschland hingegen nur auf etwa ein Prozent käme.

Die NATO legte offizielle Zahlen zu den Verteidigungsausgaben vor. Richtig ist, die Bundesrepublik konnte unverändert im Vergleich zum vergangenen Jahr lediglich 1,24 Prozent seines BIP für Verteidigungsausgaben erreichen und kommt dem Zwei-Prozent-Ziel somit nicht näher. Die Quote der USA ist leicht gesunken und liegt im diesem Jahr bei 3,5 Prozent.

In der aktuellen Erklärung der Staats- und Regierungschefs des NATO-Gipfels wurde die Deadline bis 2024 angesetzt, dass bis dahin etwa zwei Drittel der Verbündeten nationale Pläne umzusetzen haben, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Dies entspricht ebenfalls der Vereinbarung vom vergangenen Jahr, nationale Pläne zur Lastenteilung zu entwickeln. Basierend auf diesen Plänen und Zusagen durch Kanada und die EU-NATO-Partner erwartet die NATO 266 Milliarden US-Dollar zusätzlicher Investition für die Verteidigung bis 2024.

Die Verteidigungsausgaben stiegen nach der Annexion der Krim rasant an. Quelle: NATO official figures
Die Verteidigungsausgaben stiegen nach der Annexion der Krim rasant an. Quelle: NATO official figures.

Stoltenberg hält fest, im letzten Jahr sei der größte Anstieg der Verteidigungsausgaben seit dem Ende des Kalten Krieges zu sehen, alle Verbündeten hätten ihre Verteidigungsausgaben erhöht.

Als Grund dafür und die größte Verstärkung der kollektiven Verteidigung der NATO seit dem Ende des Kalten Krieges sieht die NATO, neben der Annexion der Krim, die zunehmende russische Durchsetzungsfähigkeit und Präsenz sowie die in Georgien und Moldawien stationierten russischen Truppen.

Am Ende des NATO-Gipfels resümierte Stoltenberg, die NATO sei stärker denn je. 41 Milliarden Dollar seien seit dem Amtsantritt von Trump zusätzlich in die Verteidigung investiert worden, äußerte Stoltenberg.

Trump schreibt sich selbst diesen Erfolg zu – ungeachtet der Tatsache, dass die Verteidigungsausgaben bereits einen rasanten Anstieg im direkten Zusammenhang und als Reaktion auf die Annexion der Krim im Jahr 2014 erfuhren, als er noch nicht US-Präsident war:

„Er [Jens Stoltenberg] dankte mir tatsächlich, und alle im Raum bedankten sich bei mir. In diesem Raum herrscht ein kollegialer Geist, den sie, wie ich glaube, viele Jahre nicht hatten. Sie sind sehr stark. Also ja, sehr vereint, sehr stark, kein Problem.“

Der Trump-Effekt macht sich in allgemeiner Verunsicherung bemerkbar. Trump droht mit einem Alleingang der USA, Trump bekennt sich doch zur NATO – selbst ranghohe NATO-Offizielle können nicht mehr sicher voraussehen, woran sie morgen bei Trump sind.

Amtskollegen deuten Trumps Absichten, um sie der Öffentlichkeit verständlich zu machen. So kürzlich der US-Republikaner Mitch McConnell, der sich augenblicklich keine Sorgen darüber macht, Trump wolle aus der NATO austreten.

Der US-Senat stimmte kurz vor dem Auftakt des NATO-Gipfels mit überragender Mehrheit für einen Antrag, in dem er sich geschlossen zur NATO bekannte, wozu er sich aufgrund der durch Trump ausgelösten Verunsicherung veranlasst sah.

Unsicherheit ist nicht gerade das, was sich EU-NATO-Verbündete wünschen, denn die Vereinigten Staaten gelten als ihre wichtigsten Verbündeten. Die Militärpräsenz der USA in Europa sei um 40 Prozent seit dem Amtsantritt von Trump gestiegen, stellt Stoltenberg fest.

Eine „Wirkung“ hat Trump ganz sicher, besonders auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die den Seitenhieb Trumps, Deutschland sei total von Russland kontrolliert und sein Gefangener, da es 60 bis 70 Prozent seiner Energie von Russland und eine neue Pipeline erhalte, nicht lange auf sich sitzen ließ. Mit Betonung auf die Freiheit zur eigenständigen Politik bemerkte Kanzlerin Merkel, dass sie selbst erlebt habe, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert wurde, und sie sehr froh sei, heute in Freiheit als die Bundesrepublik Deutschland vereint zu sein.

Atlantis(che)-Stimmung in der NATO

Die NATO durchlebt derzeit heftige innere und äußere Spannungen. Wenn Stoltenberg von einem „schwierigen Partner“ wie Russland spricht, was der NATO bereits einen dualen Ansatz der Verteidigung und des gleichzeitigen Dialogs abverlangt, muss sie auch Trump mit psychologisch-pädagogischem Geschick richtig anzufassen verstehen. Trump reduziert das transatlantische Bündnis auf Verteidigungsausgaben und Zahlen, als käme er zu einem Wirtschaftsgipfel. Sein Vorwurf, die USA sollen Deutschland beschützen, aber Deutschland beziehe seine Energie durch Erdgas von Russland, kratzt empfindlich am Herzstück der NATO, dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrages. Demnach tritt der Bündnisfall nach einem Angriff auf ein NATO-Mitglied ein, der als ein Angriff gegen alle Mitglieder verstanden wird. Der Bündnisfall trat bisher nur einmal als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in Kraft, wo Zahlen hinter dem Komma noch nicht überbewertet wurden. Trump blendet aus, dass die jeweiligen Verteidigungsausgaben der NATO-Mitglieder immer eine Investition in die eigene nationale Sicherheit sind und nicht auf ein Konto in Brüssel gehen. Es gibt im transatlantischen Bündnis keine Unterscheidung zwischen voll- oder minderwertigen NATO-Mitgliedern.

Bereits im Vorfeld des NATO-Gipfels ging Trump auf einer Rede im US-Bundesstaat Montana frontal im Mafia-Stil Kanzlerin Merkel an:

„Und ich sagte, weißt Du, Angela, ich kann es nicht garantieren, aber wir schützen Dich, und es bedeutet viel mehr für Dich als uns zu beschützen, weil ich nicht weiß, wie viel Schutz wir bekommen, wenn wir Dich beschützen.“

Nicht verwunderlich ist es demnach, wenn der NATO-Generalsekretär nach 70jährigem Bestehen des transatlantischen Bündnisses sagt:

„Es ist nicht in Stein geschrieben, es ist kein Naturgesetz, dass wir die NATO für immer haben werden. Ich glaube, es ist möglich.“

Politische Verpflichtung sei wichtig, fügte Stoltenberg hinzu. Wie wichtig die USA als Bündnispartner für die NATO sind, machte Stoltenberg deutlich:

„Nach dem Brexit werden 80 Prozent der Verteidigungsausgaben der NATO von Nicht-EU-Verbündeten kommen. Deshalb müssen wir auch die größtmögliche Einbeziehung von Nicht-EU-Bündnispartnern in unsere Zusammenarbeit sicherstellen.“

Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte an Trump: “Liebes Amerika, schätzen Sie Ihre Verbündeten, schließlich haben Sie nicht so viele.”

Trump kritisiert Nord Stream 2

Trumps implementierte Aufforderung an Deutschland, entweder den Gasvertrag mit Russland aufzulösen oder alternativ vier Prozent seines BIPs bis spätestens 2019 zu zahlen, wie er zum Ende des Gipfeltreffens nochmals nach oben korrigierte, ist nicht die Sprache, die seinem Amtskollegen Wladimir Putin, mit dem Trump am Montag zu einem Tête-à-Tête in Helsinki zusammenkommen wird, gefallen dürfte. Der Kreml äußerte sich bereits und bestritt die Bezeichnung Trumps, Deutschland sei Russlands „Gefangener“.

Der Kreml bezeichnete Trumps Nord Stream 2-Kritik als „Kampagne der Vereinigten Staaten, um Europa zum Kauf amerikanischer Energielieferungen zu zwingen“ und spricht von „unlauteren Wettbewerb“. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf einen Sprecher des US-Außenministeriums beziehen, sollen westliche Unternehmen, die in Nord Stream 2 investierten, Sanktionsrisiken ausgesetzt sein. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow deutete die US-Haltung als den Versuch, den eigenen Energiesektor in den USA zu pushen. Gleichzeitig versicherte Peskow, die Versorgung mit Pipeline-Gas führe zu einer gegenseitigen Abhängigkeit und sei eine Garantie für Stabilität und zukünftige Entwicklung. „Wir denken, dass es eine Frage des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist.“ Die Käufer müssten ihre eigene Entscheidung treffen, fügte Peskow hinzu.

Das Nord Stream 2-Gaspipeline-Projekt, das Trump in Frage stellt, soll bis Ende 2019 realisiert werden und Gas aus der Russischen Föderation nach Deutschland liefern. Bislang wird Deutschland durch die Nord-Stream-Pipeline, die durch die Ostsee verlegt ist, mit Erdgas beliefert, von der 51 Prozent der Anteile von Gazprom gehalten werden. Das Nord Stream 2-Projekt, das parallel zur bereits bestehenden Pipeline verlaufen soll, steht inoffiziell in der Kritik, da es durch die russischen Gasimporte die Abhängigkeit von Russland als Monopolmacht in Europa erhöhen würde. Zudem steht es im Kern den Zielen der Energieunion entgegen, die sich für die Schaffung eines einheitlich-europäischen Energiemarktes und europäische Solidarität im Bereich der Energiesicherheit unter den Mitgliedsstaaten einsetzt. Bereits im Jahr 2015 blockierte die EU die South Stream-Pipeline von Gazprom.

Fakt ist, im Jahr 2016 wurden 41 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs u. A. durch Importe aus Dänemark und Russland gedeckt. Ein leichter Anstieg um zwei Prozent im Vergleich zu 2006. Der Erdgasbezug von deutschen Bezugsquellen hingegen ist stark gesunken – im Jahr 2016 waren es sieben Prozent im Vergleich zu 2006 noch 16 Prozent (Quelle: Statista, online abgerufen 12.07.2018). Deutschland importiert neben Erdgas vor allem auch Rohöl, u. A. von Russland, um seinen Energiebedarf zu decken. Rohöl im Wert von rund 32,05 Milliarden Euro sowie 24,03 Milliarden an Erdgas wurden im Jahr 2017 nach Deutschland importiert (Quelle: Statista). Russland, Norwegen und Großbritannien zählen zu den wichtigsten Ursprungsländern deutscher Rohölimporte (Quelle: Statista). So zählte das Vereinigte Königreich 98 Unternehmen zur Gewinnung von Erdöl und Erdgas im Jahr 2010 (Quelle: Eurostat).

Verteidigung gegen hybride Bedrohung

Einer schwachen, nicht geschlossenen NATO dürfte Russlands Präsident Wladimir Putin, der diese einst als Produkt des Kalten Krieges bezeichnete, nicht abgeneigt sein.

Die NATO verstärkt auch weiterhin ihre Verteidigung gegen die hybride Bedrohung durch Moskau und beschloss in Brüssel eine neue Kommandostruktur, einschließlich eines neuen Kommandos für den Atlantik und ein weiteres in Deutschland. Geplant sind ein Cyberspace-Operations-Zentrum in Belgien, ein Unterstützungskommando in Deutschland zur Gewährleistung schneller Truppenbewegung und ein Einsatzkommando in den USA zum Schutz der transatlantischen Kommunikationswege.

Trump, dem es erst die russische Einmischung ermöglichte, seine Konkurrentin Hillary Clinton im Wahlkampf auszustechen, steckt knietief in der Russland-Affäre. Zahlen sind nicht unwichtig – sein ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort, der wegen Verschwörung zur Geldwäsche, Verschwörung gegen die USA und fehlender Registrierung als ausländischer Agent der ehemaligen pro-russischen Regierung der Ukraine angeklagt wurde, soll 10 Millionen US-Dollar Darlehen vom russischen Oligarchen Oleg Deripaska angenommen haben.

Die Welt sieht gespannt auf das Spitzentreffen von Donald Trump und Wladimir Putin am kommenden Montag. Mit Putin werde er es am einfachsten haben, prophezeite Trump kürzlich.


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AFP/AP/Reuters