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Emmanuel Macron: „Wir brauchen eine europäische Strategie“

Von Michelle Eickmeier

„Westlessness“, war das diesjährige Motto der Münchner Sicherheitskonferenz. Ein ebenfalls passender, wenngleich stärker apokalyptisch anmutender Slogan wäre beispielsweise einer der folgenden gewesen: „Die nukleare Verunsicherung“, oder „Zeitalter nuklearer (Un-)sicherheit.“ Schließlich schätzt der Münchner Sicherheitsreport die Chance einer Verlängerung des Rüstungskontrollvertrages New-START (Strategic Arms Reduction Treaty) zwischen den USA und Russland als unwahrscheinlich ein. Abkommen und Verträge scheinen einer nostalgischen Vergangenheit anzugehören. Die Gefahr eines neuen Wettrüstens, die zusätzlich durch die Konflikte mit Indien, dem Iran, Nordkorea sowie Pakistan angeheizt wird, ist real geworden. Neue militärische Schauplätze des Wettrüstens wie der Weltraum und der Cyberraum sind hinzugekommen.

Globale Militärausgaben seien heute höher als in der Zeit des späten Kalten Krieges, greift der Report auf. Neue Wege im Bereich der Rüstungskontrolle und Transparenz seien erforderlich, im Bereich Weltraum, künstlicher Intelligenz oder Technologie.

„Stunde der Wahrheit“ für Europa

„Ich glaube, wir stehen wirklich vor einer Stunde der Wahrheit in Europa“, gab  Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu Bedenken. Als Mittel der Wahl will er mehr Handlungsfreiheit für Europa erreichen, eine eigene Strategie, auch gegenüber Russland und der aufstrebenden Macht China sowie im Mittelmeer. Dies sei nicht nur eine Frage transatlantischer Politik, sondern europäischer Politik. Europa benötige mehr Einigkeit, eine vitalere Demokratie, mehr Klimaschutz, eine bessere Sicherung der Grenzen.

„Ich bin überzeugt davon, dass wir ein stärkeres Europa der Verteidigung brauchen“, sagte Macron weiter, für den Glaubwürdigkeit und Handlungsspielraum in der Außenpolitik zusammengehörten.

„Wir stellen eine gewisse Schwäche des Westens fest“, die Werte hätten sich verändert, und Europa brauche „eine Strategie die es uns erlaubt uns, wieder als strategisch politische Macht zu begreifen, sagte Macron, der sich auch ganz hinter die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seiner Kritik an China, Russland und den USA stellte. Macron prognostizierte weitere aggressive Destabilisierungsversuche Russlands gegenüber westlichen Demokratien, womit er auf die Hybrid-Taktiken Russlands anspielt.

„Wir brauchen im Herzen Europas mehr Gemeinsamkeit“

In seinen genannten Schlüsselbegriffen hinsichtlich der erzielten Handlungsfreiheit wie „Souveränität, Einigkeit und Demokratie“ klingen die verwandt, historisch-politischen Errungenschaften der Französischen Revolution von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ wieder – eines des größten Erbes europäischer Geschichte.

NATO-Grundwerte: „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit“

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigte die bereits bekannten Positionen der NATO gegenüber Russland sowie ihre Solidarität gegenüber der Ukraine als Partner erneut, und sprach sich für die Aufrechterhaltung von Sanktionen aus. Gleichzeitig setzt er auf einen Dialog mit Russland und dem Streben nach besseren Beziehungen zu „unserem größten Nachbarn.“ Die Präsenz der USA in Europa und europäischer Alliierter nähme zu, und das Schwarze Meer sei von strategischer Bedeutung für die NATO, indem die NATO ihre Präsenz durch mehr Luftstreitkräfte, auf See und an Land verstärkt habe.

Stoltenberg betonte, alle Alliierten blieben der Rüstungskontrolle verpflichtet, trotz des aufgekündigten INF-Vertrages (Intermediate Range Nuclear Forces). Die USA hatten festgestellt, dass Russland gegen den INF-Vertrag verstoßen habe, indem es eine neue bodengestützte Mittelstreckenrakete mittlerer Geschwindigkeit entwickelt und getestet habe. Russland bestreitet diesen Vorwurf. Der INF-Vertrag war eine wesentliche Säule europäischer Sicherheit, und sah die Vernichtung aller nuklearen Mittel- und Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 5.500 Kilometern vor.

Die nukleare (Un-)sicherheit

Gleichzeitig stellten sich alle NATO-Verbündeten hinter die Entscheidung der USA, den INF-Vertrag annulliert zu haben, da sich alle Alliierten über den Verstoß seitens Russlands einig seien. Man wolle aber keine neuen landgestützten Atomraketen in Europa einsetzen, sondern andere Dinge im Zusammenhang mit konventionellen Luft- und Raketenabwehrübungen.

INF – Nicht alle Herausforderungen abgedeckt

Mit Blick auf den ad acta gelegten INF-Vertrag, bemerkte Camille Grand, der Stellvertretende NATO-Generalsekretär für Verteidigungsinvestitionen, dass der INF-Vertrag nicht alle Herausforderungen abgedeckt habe. Er bezog keine anderen Staaten, wie Nordkorea oder den Iran, die im Besitz von Raketen mit mittlerer Reichweite seien, mit ein. Grand warnte davor, dass Demokratien auf Abrüstung setzen, während anti-demokratische Staaten weiterhin aufrüsten. Die bilateralen Vereinbarungen des Kalten Krieges beantworte nicht alle gegenwärtigen strategischen Herausforderungen.

NATO
Camille Grand (NATO). Bildquelle: MSC / Kuhlmann.

Auf die Frage der nuklearen Sicherheit, sagte Stoltenberg, dass man bereits seit Jahrzehnten eine bewährte europäische Abschreckung habe, es sei die ultimative Sicherheitsgarantie für Europa, und gleichzeitig „die nukleare Abschreckung der NATO“, die institutionalisiert sei. Die französische nukleare Abschreckung trage zur allgemeinen Sicherheit der NATO bei.

„Wir sind auch der Konkurrenz durch ein sich veränderndes globales Kräfteverhältnis ausgesetzt“, bemerkte Stoltenberg mit Blick auf China, das bald die größte Volkswirtschaft der Welt sein werde, und bereits jetzt über das zweitgrößte Verteidigungsbudget der Welt verfüge. Was dies letztlich für die transatlantische Sicherheit, „für Freiheit und Demokratie“ bedeute, dahinter setzte Stoltenberg ein Fragezeichen.

In einem Zusammentreffen mit dem chinesischen Außenminister habe Stoltenberg klargemacht, dass die NATO ein Bündnis sei, das auf Grundwerten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, und individueller Freiheit basiere.

Nukleare Experimentierfreude – Oder vielleicht etwas anderes?

Was bei der NATO schwammig als „andere Dinge“ formuliert wurde, nennt sich bei Vladimir Putin „oder vielleicht etwas anderes.“ Hauptsache ein Gegengift vor zu viel nuklearer Power des jeweils anderen wird gefunden. So ist sich Russlands Präsident Wladimir Putin noch nicht sicher, ob der nukleare Status in die Verfassung aufgenommen werden sollte – neben seinen anderen jüngsten Verfassungsreformen. Schließlich sei klar, dass man eine Atommacht sei.

„Entscheidend ist, dass wir mit den neuesten Waffensystemen immer einen Schritt voraus sind. Diese Systeme müssen jedoch nicht unbedingt nuklear sein. Es könnten Waffen sein, die auf neuen physikalischen Prinzipien basieren, oder vielleicht etwas anderes, über das wir jetzt nicht diskutieren könnten, an dem aber unsere Wissenschaftler und unsere Industrie arbeiten“, sagte Putin.

Der nukleare Status habe aufgrund sich neu entwickelnder Technologien keinen Ewigkeitswert. Bei einem Treffen mit der Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Verfassungsvorschlägen sagte Putin in Anspielung auf die USA:

„Zum Beispiel wurde das Ihnen bekannte Raketenabwehrsystem mit dem Ziel entwickelt, unser nukleares Potenzial zu deaktivieren und unbrauchbar zu machen. Aber nachdem wir Hyperschallwaffen entwickelt hatten, wurden ihre Versuche, dies zu tun, sinnlos. Ihre Ausgaben, die Milliarden betrugen, wurden zu einer Verschwendung.“

Sergej Lawrow kritisiert NATO und EU

Der russische Außenminister Sergej Lawrow äußerte sich unmissverständlich scharf in seiner Kritik gegenüber dem NATO-Russland-Rat, dem er eine Monologhaltung vorwirft: „Im Großen und Ganzen steckt Leere hinter all ihren Gesprächen, die die NATO mit uns zum Dialog über Rüstungskontrolle, Transparenzmaßnahmen oder Vertrauensbildung geführt hat“, sagte er.

Hier wird sehr deutlich, dass die Divergenzen hinsichtlich des Krieges in der Ost-Ukraine sowie der Annexion der Krim durch Russland, die von der NATO als völkerrechtswidrig beurteilt wird, alle Annäherungsversuche ersticken. Der Ukraine-Konflikt bewirkt eine allgegenwärtige Hemmung jeglicher Konsultationen mit Russland. Wenn Lawrow sagt, die NATO erwarte, dass die Ukraine mit offenen Armen dem Bündnis beitrete, lässt er unberücksichtigt, dass die Ukraine in ihren Entscheidungen ein völkerrechtlich souveräner Staat ist, und die NATO aktiv keine Nation dazu motiviert dem Bündnis beizutreten, sondern die Ukraine als „Partner“ betitelt. Indizien für einen vorgesehenen NATO-Beitritt der Ukraine gibt es derzeit schlicht nicht. Russland aus seiner Perspektive trägt der NATO dessen zugesicherte Solidarität gegenüber der Ukraine nach. Lawrow bemerkt, dass die NATO nichts mit der Ukraine zu tun habe. Die Perspektive der vom Krieg getroffenen und geschädigten Ukraine hat Moskau nicht im Blick.

Münchner Sicherheitskonferenz.
NATO-Russland-Treffen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Image source: NATO.

Einzige Hoffnung zu einem Ausweg und Dialog mit Russland, machen daher die Gespräche im Normandie-Format.

Lawrow beurteilt die Initiative Macrons als positiv – Frankreich zeige echte politische und geopolitische Vision, Pragmatismus und Bereitschaft zum Dialog und der Suche nach Lösungen, so Lawrow.

Sergej Lawrow
Der russische Außenminister Sergej Lawrow  und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Image source: NATO.
Sergej Lawrow und Jens Stoltenberg
Sergej Lawrow und Jens Stoltenberg. Image source: NATO.

Auch hinsichtlich der EU hält sich Lawrow nicht in Kritik zurück. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Stampa, kritisierte er die EU scharf, indem sie noch immer in absurder Weise die Aussichten für eine Kooperation mit der internen ukrainischen Schlichtung verbinde.

Weiterhin sagte Lawrow:

„Wir hoffen, dass die neuen Staats- und Regierungschefs des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission auch erkennen werden, dass dieser bösartige Status quo nicht mit dem ehrgeizigen Ziel vereinbar ist, die EU zu einem geostrategischen Akteur der Spitzenklasse zu machen.“

Humanitäre Katastrophe Syriens

In der Unterstützung des Assad-Regimes durch Moskau im Syrienkrieg beruft sich Lawrow mit Verweis auf die in der UN-Resolution 2254 des Weltsicherheitsrates garantierten Souveränität und territorialen Integrität der Arabischen Republik Syriens. Dieser Argumentation fehlt es an glaubwürdiger Substanz, wenn sich einzig der Westen solidarisch gegenüber der Souveränität der Ukraine, insbesondere der Krim zeigt. Diese Destabilisierung begreift der Westen als ernstzunehmende Sicherheitsherausforderung und Bedrohung des Friedens vor der Haustüre Europas. Zerstörung und Wiederaufbau sind die Ziele der syrischen Regierung, was Moskau unterstützt – auf dem Rücken der syrischen Zivilbevölkerung und den Gräbern von über 380.000 Todesopfern, laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Wolodymyr Selenskyj: „Dies ist ein Krieg in Europa“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab zu Bedenken, es sei nicht richtig vom „Krieg in der Ukraine“ zu sprechen: „Dies ist ein Krieg in Europa“, betonte er.

Selenskyj sprach sich für einen Waffenstillstand in der Ostukraine aus, wie es in Paris vereinbart und durch die trilaterale Kontaktgruppe gebilligt wurde. Jedoch seien in den letzten zwei Monaten mehr als 400 Fälle von Beschuss auf ukrainische Stellungen zu verzeichnen. Selenskyj lobte die wirksame Arbeit des OSZE-SMM als eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Sicherheitspakets des Minsker Abkommens.

Volodymyr Zelensky
Ukrainian president Volodymyr Zelensky. Image source: MSC / Kuhlmann

Angesichts der geplanten Kommunalwahlen im Oktober in der gesamten Ukraine, einschließlich bestimmter Gebiete in den Regionen Donezk und Luhansk, plädiert Selenskyj auf eine Durchführung nach ukrainischem Recht, die international als legitim anerkannt werde. Auf der Krim sei dies ohne grundlegende Sicherheits- und politische Bedingungen unmöglich, was gegen die Verfassung der Ukraine und die internationalen Standards demokratischer Wahlen verstoße. Erschwert sei dies zudem durch die Tatsache, dass im vergangenen Jahr in den vorübergehend unkontrollierten Teilen von Donbass 125.000 russische Pässe ausgestellt worden seien, so Selenskyj.

Die Sicherheitsarchitektur Europas müsse ausschließlich auf den Normen und Grundsätzen des Völkerrechts beruhen, die in der Charta der Vereinten Nationen, der Schlussakte von Helsinki und den internationalen Verträgen verankert seien, so der ukrainische Präsident.

„Es ist Zeit zu erkennen, dass wir in einer Welt leben, in der es keinen Krieg mehr eines anderen, und keine Katastrophe eines anderen mehr gibt“, sagte Zelenskyy. – Genau das meinte der damalige Medientheoretiker Marshall McLuhan mit seiner weltbekannten These vom „global village“ („globales Dorf“). Nein, die Welt ist zu einem globalen Dorf zusammengeschrumpft und trägt gemeinsame Verantwortung.

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Verfassungsreform in Russland – Freund oder Feind?

Von Michelle Eickmeier

Der jüngste Machtwechsel innerhalb des Kremls ist derzeit das Topthema in Russland, was auch die Trends in den sozialen Medien anzeigen. Der Rücktritt der gesamten russischen Regierung unter Premierminister Dmitri Medwedew, und damit des zweitmächtigsten Mannes im Staat, kam nur wenige Stunden nach der Ankündigung einer Verfassungsänderung durch Präsident Wladimir Putin während seiner alljährlichen Ansprache zur Lage der Nation, die eine Stärkung der Befugnisse von Parlament und Kabinett vorsieht. Somit würde der Staatsduma das Recht eingeräumt, der vom Präsidenten für das Amt des Premierministers vorgeschlagenen Kandidatur zuzustimmen. Analysten sehen in diesem Schritt eine beabsichtigte Machtabsicherung Putins, dessen Amtszeit 2024 enden wird. Medwedew, der nach nur einer Amtszeit als Präsident im Jahre 2012 seinem langjährigen Verbündeten Putin die Wiedererlangung des Präsidentenamtes ermöglichte und daher unter Beobachtern als „Platzhalter“ gilt, war seit 2012 Russlands Premierminister.

Was käme auf Europa und Russland zu, wenn Putin auch nach dem Ende seiner derzeitigen Amtszeit als Präsident im Jahr 2024 weiterhin an der Spitze innerhalb des Kremls regieren wird?

Die neue russische Regierung wurde bereits gebildet. Auch ein in erster Lesung von Präsident Wladimir Putin der Staastduma vorgelegtes umfassendes Gesetz zur Verfassungsreform hat das Parlament bereits einstimmig gebilligt. Die zweite Lesung ist für den 11. Februar vorgesehen. Im russischen Staatsfernsehen hatte der damalige Ministerpräsident Dmitri Medwedew den Rücktritt der russischen Regierung erklärt. Putin dankte Medvedev für seinen Dienst, sagte jedoch, das Kabinett des Premierministers habe nicht alle seine Ziele erreicht. Medwedew sagte, der Präsident solle für die von ihm vorgeschlagene Verfassungsreform, die gravierende Änderungen in der „Balance zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative“ vorsähen, die Möglichkeit haben, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.“ Dmitri Medwedew hat bereits seine neue Position als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats eingenommen. Michail Mischustin, bislang Chef der Steuerbehörde, ist zum neuen Ministerpräsidenten ernannt worden.

Gewaltenteilung aus der Balance

Kritiker bemängeln die Schnelligkeit und den Mangel an Demokratie dieses Prozesses, der die Gewaltenteilung störe. Eine Institution über den Präsidenten zu stellen, würde „nichts anderes als eine Diarchie bedeuten – eine absolut ruinöse Situation für ein Land wie Russland“, positioniert sich Putin.

Der tiefgreifende Charakter der Änderungen wirke sich so stark auf die Bedeutung der grundlegenden Bestimmungen der Verfassung aus, dass jedes andere Verfahren zur Annahme von Änderungsanträgen Zweifel an der Legitimität solcher umfassenden Änderungen hervorrufe, gibt das EU-Russland-Forum für Zivilgesellschaft (EU-Russia Civil Society Forum) zu Bedenken. Weiter heißt es:

„Diese Änderungen würden nicht nur die Befugnisse des Präsidenten stärken, die Unabhängigkeit der Justiz schwächen, die Regierungsführung auf Kosten der Regionen zentralisieren und die Autonomie der lokalen Selbstverwaltung aufheben, sondern auch den Staatsrat […].“

Es befürchtet eine Beeinträchtigung der Einhaltung internationaler Verpflichtungen durch die Russische Föderation. Der Vorstand des Forums der Zivilgesellschaft EU-Russland fordert eine genaue Beobachtung der Einhaltung dieser Verpflichtungen durch den Europarat, insbesondere dem für Menschenrechte zuständigen Kommissionsmitglied, dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung.

Medwedew: „Es war manchmal sehr schwierig“

Einen Tag nach seinem Rücktritt als russischer Premier bedankte sich Medwedew bei allen Regierungsmitgliedern für die „großartige Arbeit“ und erklärte über einen verlinkten Tweet:

„[…] Es war manchmal sehr schwierig. Aber wir haben Lösungen gefunden, die unserem Land geholfen haben, voranzukommen und sich zu entwickeln. […] Die ganze Zeit arbeitete die Regierung als ein Team – ein Team von Gleichgesinnten, auf die ich mich verlassen und denen ich vertraute. Auch die neuen Großaufgaben, die der russische Präsident in seiner Ansprache gestellt hat, erfordern neue Ansätze. Ich bin sicher, dass die Regierung, die in naher Zukunft ernannt wird, damit fertig wird. Ich wünsche ihm viel Erfolg bei seiner Arbeit und der Umsetzung aller seiner Pläne.“

Medwedew nannte den Zeitfaktor als weiteren Beweggrund für den Regierungsrücktritt. In einem Interview mit Channel One erklärte Medwedew, er sei zu dem Schluss gekommen, dass in den Regierungen der Sowjet- und Zarenzeit und der jüngeren Geschichte Russlands niemand mehr als acht Jahre lang die Regierung geleitet habe. Weiterhin betonte er die „komplizierte Arbeit, Entscheidungen in äußerst schwierigen Fragen zu treffen“ und lobte die Arbeit seines Kabinetts unter den Sanktionen, die Russland seit 2014 aufgrund des angekündigten Referendums auf der Krim durch die EU, die Vereinigten Staaten und andere Staaten auferlegt wurden.

Medwedew sprach von „einer Reihe von schmerzhaften Entscheidungen und ungelösten Problemen“, sei aber „im Allgemeinen mit dem Stand der Dinge und der Funktionsweise der höchsten Exekutivbehörde zufrieden“.

Wer zwischen den Zeilen liest, erkennt zwar das unmissverständliche D’accord mit seinem langjährigen Amtskollegen Putin, doch auch die Sorge um die Professionalität der neuen Regierungsanwärter, die von heute auf morgen eine erfahrene Regierungstruppe ersetzen sollen. Auch wenn der Regierungswechsel nicht überraschend für Medwedew gekommen sein mag, setzt er ein Fragezeichen hinter diesen Prozess, auf den er nur bedingt, wenn gar keinen Einfluss hat.

Putin hatte die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Bewertung seiner vorgeschlagenen Verfassungsreform angeordnet. Hierzu zählen kremlfreundliche Gesetzgeber sowie unter anderem der Pianist Denis Matsuev und die ehemalige olympische Stabhochspringerin Yelena Isinbayeva.

Der Vorsitzende der Partei „Einiges Russland“, Dmitry Medvedev, schlug auf einer Sitzung des Präsidiums des Hohen Rates vor, die Verantwortung für die Arbeit der lokalen Exekutive zu stärken. Er ist überzeugt, dass dafür mit ihren Vertretern in der Legislative und in der Exekutive alle notwendigen Werkzeuge vorhanden sind.

Medwedew erklärte, die Unterstützung der neuen Regierung bedeute parteipolitische Verantwortung, nicht nur für Parteimitglieder, sondern für alle Bürger des Landes. Gleichzeitig solle das „Einige Russland“ die Arbeit der Regierung objektiv bewerten und sich in Bezug auf die Ausführungsqualität sowie der Umsetzung mit der Regierung abstimmen, wobei die Partei die Exekutive nicht ersetzen dürfe, so der Parteivorsitzende.

Bereits zuvor, wenige Tage nach der angekündigten Verfassungsreform, erklärte Medwedew in einem Interview mit dem Programm Vremya, dass die wichtigsten Aufgaben der Partei mit der Verbesserung des Wohlergehens der Menschen zusammenhängen werden. Die Partei habe eine große Verantwortung für die Entwicklung des Landes und gegenüber den russischen Bürgern, betonte er, der die Lösung auch in der Realisierung nationaler Projekte sieht. Auf Führungsebene bemühe man sich sehr, bei der Umsetzung dieser Aufgaben zu helfen, so Medvedev.

In diesem Vorhaben trifft Medwedew auf einen wunden Punkt: Viele Bürger sind von Armut und der jüngsten Anhebung des Rentenalters betroffen, das Land erlebte immer wieder große Protestaktionen. Immer wieder kommt es zu Festnahmen der russischen Oppositionsfigur Aleksei Navalny, der sich am Präsidentschaftswahlkampf 2018 beteiligte, und anderen Oppositionellen, was international als demokratiefeindlich kritisiert wird. Bei Protesten gegen die Rentenreform 2018 in Moskau, wurden mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen. Der offizielle Vorwurf lautetnicht genehmigte Kundgebungen organisiert zu haben und damit wiederholt gegen die bestehenden Vorschriften der Durchführung öffentlicher Veranstaltungen verstoßen zu haben.

Auch hinsichtlich Medwedew selbst zeigt sich die Nation gespalten, sehen doch viele in ihm einen „Platzhalter“, gar eine „Marionette“ Putins, was Medwedew bestreitet. Bereits 2011 anlässlich seines Verzichts einer weiteren Amtszeit als Präsident der Russischen Föderation sagte Medwedew in einem Interview mit dem Nachrichtensender RT:

„Mein größtes Ziel ist es, für mein Land und meine Leute nützlich zu sein. Wenn Sie diesen Ehrgeiz nicht haben, sollten Sie nicht in die Politik einsteigen.“

Er betonte die politische Einheit mit seinem Verbündeten Putin, und sagte, sie gehörten beide derselben politischen Kraft an, ihre Sichtweisen seien sehr ähnlich vor allem im Bereich strategischer Fragen, und wie sich das Land weiterentwickeln solle. Daher sei eine Rivalität überflüssig.

Eines scheint klar, was Putin will, bekommt Putin auch – umso mehr durch die Absicherung seiner Machtposition mittels einer Verfassungsreform.

Was bringt Putin Europa und der Welt?

Was die nächsten Jahre mit Putin an der Spitze der Regierung für Europa und die Welt bedeuten werden, sind die großen außen- und sicherheitspolitischen Fragen.

Nuklearabkommen INF vs. New-START

Nachdem die USA das wichtige Nuklearabkommen, den INF-Vertrag mit Russland einseitig aufgelöst hatten, bietet Putin neue Verhandlungen zum Rüstungskontrollvertrag New-START (Strategic Arms Reduction Treaty) an.  Putin äußerte sich besorgt über die Zukunft des New-START-Abkommens und kritisierte das mangelnde Interesse der USA. Es ist ein Zeichen der Kooperation, auf das die USA bisher nicht eingegangen sind. 

Im Raum steht die Angst vor einem neuen Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und Russland in Europa sowie auf asiatisch-pazifischem Terrain, vor dem Beobachter warnen. Im Hintergrund steht der Vorwurf der Entwicklung und des Einsatzes des russischen Raketensystems 9M729, der laut NATO gegen den INF-Vertrag verstoße. Diese Raketen seien besonders gefährlich, weil sie schwer zu lokalisieren, mobil und nuklearfähig seien und zudem die Warnzeit verkürzen. Putin bestreitet einen INF-Verstoß. – USA, it’s your turn!

Krisenherd Ukraine

Der im April 2020 sechs Jahre andauernde Krieg in der Ostukraine hat nach Zahlen der Uno-Menschenrechtsbeobachtermission (OHCHR) bereits 12.447 Todesopfer gefordert, darunter 3.320 Zivilisten. Während die Souveränität der durch Russland annektierten Krim international weiterhin als primär ukrainisches Staatsgebiet angesehen wird, machte Putin unmissverständlich klar, in diesem Punkt zu keinem Kompromiss bereit zu sein. Die Krim bleibt voraussichtlich bis 2024 in russischer Hand, wobei eine Rückgängigmachung nach diesem Zeitpunkt als noch unwahrscheinlicher gelten mag. Fälle wie die Konfrontation Russlands mit der Ukraine im Schwarzen Meer, in der Straße von Kertsch von 2018, demonstrieren die schweren Spannungen zwischen Kiew und Moskau. Eine Verschärfung der Situation im besetzten Teil der Ostukraine ist ohne den vollständigen Abzug der prorussischen Separatisten weiterhin hoch, wenngleich Gespräche im „Normandie-Format“ in Berlin und Paris auf eine friedliche Lösung drängen. Russia, it’s your turn!

Syrienkrieg

Der Schandfleck der Welt bleibt weiterhin Syrien, dessen Zivilbevölkerung von einem Bombenmeer und tödlichen Giftgasangriffen ausgezehrt ist. Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind über 380.000 Menschen getötet worden, darunter seien 115.000 Zivilisten, davon rund 22.000 Kinder. Russland verhinderte mehrfach eine UN-Resolution im Weltsicherheitsrat zur Untersuchung von Verbrechen in Syrien durch den Internationalen Strafgerichtshof. Menschenrechtsbeobachter sehen in diesem Vorgehen ein Blockieren im Aufklärungsprozess sowie eine Unterstützung der Gräueltaten Baschar al-Assads, und beschuldigen Russland an vorderster Front an der Tötung von Zivilisten beteiligt gewesen zu sein, indem es Krankenhäuser gezielt angegriffen habe. Wird Putin den Diktator Assad weiterhin unterstützen? – Russia, it’s your turn!

Hybride Bedrohung

Sowohl die NATO als auch die EU haben sie als Bedrohung eingestuft: Die Hybrid-Taktiken Moskaus zehren seit der Annexion der Krim an der Oberfläche des transatlantischen Bündnisses. EU und NATO sind bereits 2016 eine enge  Kooperation im Kampf gegen hybride Bedrohungen eingegangen. Die NATO hatte bereits auf dem  Gipfeltreffen in Warschau 2016 vereinbart, ein hybrider Angriff könne den Artikel 5 des Nordatlantikvertrags und damit den Bündnisfall auslösen. Seitdem erkennt die NATO die Bekämpfung hybrider Kriegsführung als Teil ihrer kollektiven Verteidigung an. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren, scheint sich diese aggressive Lage derzeit ein wenig beruhigt zu haben. Im Interview mit euronews von 2018 sagte Medwedew als damaliger Ministerpräsident, notfalls asymmetrisch auf Wirtschaftssanktionen und Handelskriege reagieren zu wollen:

„In der heutigen Welt gibt es verschiedene Formen der Reaktion, einschließlich, wie gesagt, asymmetrischer Reaktionen. Dies ist nicht unbedingt militärischer Natur. Es ist nicht erforderlich, mit angemessenen wirtschaftlichen Mitteln auf wirtschaftliche Bedrohungen oder wirtschaftliche Erpressungen zu reagieren.“

Gerade Hybrid-Szenarien sind kaum kalkulierbar. Die künftige Aktivität der asymmetrischen Kriegsführung wird stark vom Vorgehen der Bündnispartner abhängen und damit eine bedeutende Rolle für Europa spielen. Eine weitere Spaltung der Europäischen Union (EU) nach Art des Brexits darf Europa nicht erleiden, da sie eine Schwächung bedeuten. Moskau bestreitet das Ansinnen, die EU schwächen zu wollen, doch genau in diesem Punkt hatte die EU die rote Karte gezeigt, was sie weiterhin wachsam verfolgen sollte. Russland wird die EU als starken Partner wahrnehmen, was die größte Friedensprävention sein kann. Auch andere Staaten sinnen nach einer Schwächung der EU, weshalb sie ihre Souveränität im politischen Diskurs behaupten muss, weniger im militärischen Bereich. Eine erzielte Schwächung der EU rückt die alte russische Kritik an der NATO-Osterweiterung hierbei in den Hintergrund. – EU, it’s your turn!

Nord Stream 2-Diskurs

Als einen der wenigen gemeinsamen Nenner in den schwierigen Deutschland-Russland-Beziehungen könnte das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gesehen werden. Gleichzeitig bietet es international die höchste Angriffsfläche. Die USA kritisieren den Bau scharf. So mahnte US-Vizepräsident Mike Pence auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz in Anspielung auf Deutschland, die USA könne die Sicherheit seiner Verbündeten im Westen nicht garantieren, solange sie vom Osten abhängig seien. Gleichzeitig bekannte er offen, die USA wollten zum weltweit größten Öl- und Gasproduzenten werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel konterte, die Abhängigkeit Europas von russischem Gas hänge nicht davon ab, ob die Gas-Pipeline gebaut werde oder nicht. Das Projekt ist kaum als Hybrid-Taktik Moskaus zu verstehen, zu alt ist sein Gedanke mit Nord Stream 1, zu wichtig ist die Fertigstellung für beide, sowohl Deutschland als auch Russland. Mit Russland Geschäfte zu machen und den USA hiermit ein gesundes Selbstbewusstsein zu demonstrieren ist wichtig und richtig für Deutschland. Dabei darf Deutschland nicht seine Glaubwürdigkeit einbüßen – gleichzeitig muss in Sachen Ukraine beschwichtigt werden und eine neue Politik auf Augenhöhe her. Ein erster Schritt in diese Richtung und ein eindeutiges Signal wären die schrittweise Aufhebung der Sanktionen. – Germany, it’s your turn!

AP/Reuters/RFE/RL/RT/РБК

 

Ende der Rüstungskontrolle? – Ultimatum zur Rettung des Atomwaffenvertrages abgelaufen 

Von Michelle Eickmeier

Das Ultimatum der USA an Russland, den INF-Vertrag zu erfüllen, ist nun nach 60 Tagen abgelaufen. Die USA hatten angekündigt, aus dem Atomwaffenvertrag auszusteigen, sollte Russland nicht sein nuklearfähiges Raketensystem 9M729 zurückziehen. Im Raum steht die Angst vor einem neuen Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und Russland in Europa sowie auf asiatisch-pazifischem Terrain, vor dem Beobachter warnen. Steht die Rüstungskontrolle jetzt vor dem Aus?

Die Positionen der NATO-Verbündeten und Russlands kämen grundsätzlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner, stellte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg noch im Januar auf einer Pressekonferenz im Anschluss an den NATO-Russland-Rat (NRC) fest. Dabei ging es neben dem Krieg in der Ostukraine vor allem um den drohenden Austritt der Vereinigten Staaten aus dem INF-Vertrag über nukleare Streitkräfte (Intermediate Range Nuclear Forces), der das Verbot und die Vernichtung aller nuklearen Mittel- und Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis zu 5.500 Kilometern vorsieht.

Bereits in der von den NATO-Außenministern herausgegebenen Erklärung vom Dezember vergangenen Jahres wird Russland die Entwicklung und der Einsatz des Raketensystems 9M729 (NATO-Code SSC-8) vorgeworfen, der gegen den INF-Vertrag verstoße. Diese Raketen seien besonders gefährlich, weil sie schwer zu lokalisieren, mobil und nuklearfähig seien und zudem die Warnzeit verkürzen. Sie könnten europäische Städte erreichen und daher auch die Schwelle für einen möglichen Einsatz von Atomwaffen im Falle eines Konfliktes in Europa senken, sagte Stoltenberg im Dezember. 

60-Tage-Ultimatum abgelaufen

Die USA hatten Moskau ein 60-Tage-Utimatum gestellt, um zur Einhaltung der Vorschriften zurückzukehren. Allerdings habe Russland nun, da das Ultimatum der USA ausgelaufen ist, noch sechs Monate Gelegenheit, die Vorschriften des INF-Vertrags zu erfüllen, bis der Austrittsprozess der USA aus dem Atomwaffenabkommen des Kalten Krieges vollständig abgeschlossen sei. US-Außenminister Mike Pompeo gab den INF-Rücktritt mit Wirkung zum 2. Februar bereits am Freitag bekannt und kündigte eine offizielle Mitteilung an Moskau an. Sollte Russland keine Schritte in Richtung glaubwürdiger Rüstungskontrolle unternehmen, werde der Vertrag aufgekündigt. Wenige Stunden zuvor gab der Nordatlantikrat, das wichtigste Entscheidungsgremium der NATO, eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie der US-Rücktrittsmitteilung ihre volle Solidarität zuerkannte.

„Ein Vertrag, zu dem zwei Vertragsstaaten gehören und der von einer Seite verletzt wurde, ist de facto ungültig“, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas am Rande eines EU-Außenminister-Treffens in Bukarest.

Über die Motive, warum Russland diese neuen Raketen entwickle und einsetze, könne man nur vorsichtig spekulieren, so Stoltenberg. Verschiedene politische und militärische Verantwortliche, darunter auch Russlands Präsident Wladimir Putin, hätten mehrmals öffentlich ihre Bedenken hinsichtlich des INF-Vertrags bekundet, da dieser ihrer Ansicht nach ihre Reaktionsfähigkeiten angesichts der ansteigenden Entwicklung von Waffen mittlerer Reichweite in Ländern wie China, Indien, Pakistan, Iran und auch Nordkorea beschränke. Aber auch US-Vertreter hatten sich besorgt über ihre Vertragsbindung geäußert, da China, das nicht an den Vertrag gebunden ist, eine Vielzahl von Raketen einsetze.

„Sie haben sich daher bereits besorgt über den Vertrag geäußert, und ich denke, das ist der Hauptgrund, warum sie jetzt auch gegen den Vertrag verstoßen“, sagte Stoltenberg.

Gleichzeitig räumte er ein, dass in den 1980er Jahren nahezu ausschließlich die USA und die Sowjetunion im Besitz von Raketen- oder Waffensystemen mittlerer Reichweite waren, während diese Art von Waffensystemen heute von China, Indien, Pakistan, dem Iran und auch Nordkorea entwickelt werde.

Einige NATO-Vertreter werten Russlands Raketensystem, das sich einfach verstecken lasse, als gezielte Abwehr gegen chinesische Raketenprogramme, was jedoch nicht dessen Einsatz rechtfertige.

Stoltenberg: Russland will ablenken

Umgekehrt beschuldigt Russland die USA, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Gemeint ist das US-Raketenabwehrsystem Mk-41, eine Senkrechtstartanlage für Flugkörper im Meer, stationiert in Polen und Rumänien, das mehrere Raketen abfeuern könne, so auch die Tomahawk-Marschflugkörper, eine Waffe, die vom INF-Abkommen verboten sei, wenn sie auf einem bodengestützten Werfer eingesetzt werden würde, lautet der Vorwurf Moskaus. Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow spricht von Vertragsbruch der USA. Die NATO behauptet, das Raketenabwehrsystem solle Raketen aus dem Iran, nicht aus der Russischen Föderation abschießen.  Zudem beschuldigt Russland das Vorhaben der USA ein Raketenabwehrsystem im Weltraum einzusetzen.

Die NATO sieht jedoch keinen Verstoß gegen den INF-Vertrag – Russland wolle damit vom eigentlichen Problem ablenken: „Es gibt keine neuen US-Raketen in Europa, aber neue russische Raketen in Europa“, unterstrich Stoltenberg. Die NATO-Verbündeten appellieren weiterhin an Russland, den INF-Vertrag durch vollständige Einhaltung der Vorschriften zu wahren. Oberste Priorität ist die Rettung des INF-Vertrags, bevor über mögliche Schritte spekuliert werden könne, machte Stoltenberg deutlich, dem es vor allem um Zurückhaltung und  Deeskalation geht. Die NATO forderte Russland bereits auf dem Gipfeltreffen in Wales im Jahr 2014 zur vollständigen und überprüfbaren Einhaltung des Abkommens auf.

„Der INF-Vertrag ist ein Eckpfeiler für die Rüstungskontrolle für unsere Sicherheit“, sagte Stoltenberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Der potenzielle Zusammenbruch des INF-Vertrags sei derzeit die dringlichste Herausforderung der NATO.

Zukunft der Rüstungskontrolle offen

Mit dem angedrohten Austritt der USA aus dem INF-Vertrag sind 30 Jahre Rüstungskontrolle und Stabilität gefährdet. Im Umgang mit Russland verfolgt die NATO einen dualen Ansatz. Zum Einen will sie sich weiterhin für den Prozess der Rüstungskontrolle einsetzen, gleichzeitig verfolgt sie auch eine militärische Strategie der Abschreckung und Verteidigung. Man werde jedoch nicht notwendigerweise Eins zu Eins das Vorgehen Russlands spiegeln. So begrüßte Stoltenberg die Initiative von Heiko Maas, eine Konferenz in Berlin einzuberufen, um neue Initiativen zur Rüstungskontrolle zu prüfen.

„Ich habe mit meinem russischen Kollegen darüber gesprochen und ihnen gesagt, dass wir darauf setzen, dass Russland seine Vertragsverletzungen korrigiert und seine Marschflugkörper entwaffnet, damit der INF-Vertrag noch eine Chance hat“, sagte Maas, der sich für die Rettung des INF-Abkommens einsetzt.

Ein weiterer Rüstungskontrollvertrag zwischen Russland und den USA, der New-START-Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty), seit dem 5. Februar 2011 in Kraft, läuft 2021 aus. Dieser begrenzt die Anzahl der eingesetzten nuklearen Sprengköpfe auf 1.550. Auf der jährlichen Pressekonferenz im Dezember äußerte sich Putin besorgt über die Zukunft des New-START-Abkommens und kritisierte das mangelnde Interesse der USA. Ein U.S.-Vertreter sagte, die U.S.-Regierung wäge ab, ob New-START um fünf Jahre verlängert werden müsse.

„Es werden noch keine Gespräche über die Erweiterung geführt. Haben die Amerikaner kein Interesse, brauchen sie sie nicht?“, fragte Putin. Für die Menschheit sei das sehr schlecht, da man sich einer gefährlichen Schwelle nähere, gab er zu Bedenken.

INF-Vertrag: Washington drängt Moskau seit Jahren zur Vertragsverpflichtung

Seit 2013 äußern die Vereinigten Staaten Bedenken gegenüber Russland bezüglich der Entwicklung und Tests Russlands neuer bodengestützter Mittelstreckenrakete und sollen vergeblich versucht haben, glaubwürdige Antworten zu dem neuen Raketensystem und Beweise zur Einhaltung des INF-Abkommens von Russland  zu erhalten. Russland habe seine Darstellung wiederholt geändert und die internationale Gemeinschaft irregeführt. In über 30 Treffen, initiiert von den Vereinigten Staaten, mit russischen Vertretern auf höchster Regierungsebene präsentierten sie der russischen Seite technische Informationen über die SSC-8-Rakete.

Moskau präsentiert sich als Sündenbock

Russlands Präsident Wladimir Putin stellte noch im Dezember klar, man sei gegen die Zerstörung dieses Vertrags, doch Washington habe bereits beschlossen, den INF-Vertrag aufzukündigen und einen Betrag für die Entwicklung von Raketen vorgesehen, die vertragswidrig seien. Die Vereinigten Staaten würden Russland als Sündenbock für das mögliche Ende des INF-Atomwaffenabkommens machen, sagte Putin. Mit der Warnung vor einem vollständigen Zusammenbruch der Atomwaffenkontrolle reichte die russische Mission der Vereinten Nationen noch im Dezember einen Resolutionsentwurf ein und forderte zur Aufrechterhaltung des INF-Vertrags entgegen des angedrohten US-Ausstiegs auf. Die Forderung zur Vernichtung seines Raketensystems lehnt Moskau weiterhin ab und bestreitet dessen Nuklearfähigkeit.

Im Januar präsentierte das russische Verteidigungsministerium die den NATO-Russland-Konflikt befeuernde SSC-8-Rakete auf einer Militär-Austellung nahe ihres Raketenstarters in Kuhinka bei Moskau: Sie habe lediglich eine maximale Reichweite von 480 km und verstoße somit nicht gegen den INF-Vertrag, war die Botschaft von Mikhail Matveyevsky, Russlands Militär-Kommandant der Raketen- und Artilleriekräfte. Zahlreiche westliche Diplomaten lehnten die Teilnahme an der Veranstaltung ab.

NATO-Vertreter wiesen die Darstellung erneut zurück und kritisierten die mangelnde Transparenz in der Überprüfbarkeit, da allein die „statische Anzeige“ keinen Hinweis auf ihre Flugentfernung gebe – es sei „reine Show“.

Hintergrund: Der Atomwaffenvertrag aus der Ära des Kalten Krieges ist ein wichtiges Rüstungskontrollabkommen, das seit über 30 Jahren die euro-atlantische Sicherheit garantiert. Er wurde 1987 von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnet, als Russland der Sowjetunion angehörte. Die USA forderten erneut den Rückzug von Russlands mobilem Marschflugkörpersystem, da sich Washington sonst nicht mehr an die Verpflichtungen des Atomabkommens gebunden sieht.

AFP/AP/Reuters/RFE/RL

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Krise zwischen NATO und Moskau – Gefährdeter INF-Vertrag und Konfrontation im Asowschen Meer

Krise zwischen NATO und Moskau –Gefährdeter INF-Vertrag und Konfrontation im Asowschen Meer

Von Michelle Eickmeier

Moskaus destabilisierende Aktionen, wie sie von der NATO bezeichnet werden, beherrschen weiterhin die Themenagenda des transatlantischen Bündnisses. Im Zentrum stehen die jüngste Konfrontation Russlands mit der Ukraine im Schwarzen Meer und der Streit mit dem Westen über den INF-Vertrag.

Die nuklearen Fähigkeiten Russlands geben der NATO weiterhin Anlass zur Besorgnis über die europäische Sicherheit. Es seien keine neuen US-Raketen in Europa stationiert, jedoch neue russische Raketen, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf dem Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel, und wirft Moskau schwere Verstöße gegen den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) vor. Dieser sieht das Verbot und die Vernichtung aller nuklearen Mittel- und Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 5.500 Kilometern vor.

30 Jahre Rüstungskontrolle und Stabilität gefährdet

Die von den NATO-Außenministern in Brüssel herausgegebene Erklärung zum Vertrag über nukleare Streitkräfte (INF) beschuldigt Russland, das Raketensystem 9M729 (NATO-Code SSC-8) entwickelt und eingesetzt zu haben und somit gegen den INF-Vertrag zu verstoßen.

Diese Raketen seien besonders gefährlich, weil sie schwer zu lokalisieren, mobil und nuklearfähig seien, und zudem die Warnzeit verkürzen. Sie könnten europäische Städte erreichen und daher auch die Schwelle für einen möglichen Einsatz von Atomwaffen im Falle eines Konfliktes in Europa senken, sagte Stoltenberg. Die NATO-Verbündeten appellierten einstimmig an Russland, zur vollständigen Einhaltung der Vorschriften zurückzukehren. Es läge nun an Russland, den INF-Vertrag zu wahren.

Gleichzeitig betonte Stoltenberg, keine Stationierung neuer Atomraketen in Europa zu beabsichtigen. Die NATO selbst habe ihr nukleares Arsenal um 90 Prozent reduziert. „Aber als Bündnis bekennen wir uns zur Sicherheit und zur Sicherheit aller unserer Nationen“, so Stoltenberg in einem von El Pais und La Repubblica veröffentlichten Beitrag.

Der Atomwaffenvertrag aus der Ära des Kalten Krieges ist ein wichtiges Rüstungskontrollabkommen, das seit über 30 Jahren die euro-atlantische Sicherheit garantiert.

USA stellen Moskau Ultimatum

US-Außenminister Mike Pompeo sagte in Brüssel, die USA haben Russland ein Ultimatum von 60 Tagen gestellt, um den INF-Vertrag zu erfüllen. Moskau müsse sein neues mobiles Marschflugkörpersystem zurückziehen, ansonsten sähe sich Washington nicht mehr an die Verpflichtungen des Atomabkommens gebunden.

Die NATO fordert Russland trotz des angedrohten Austritts der USA nachdrücklich dazu auf, den INF-Vertrag einzuhalten, bekennt sich aber gleichzeitig zu den Informationen von US-Geheimdiensten, wonach Moskau den Vertrag derzeit verletze.

Seit nunmehr fünf Jahren sollen die Vereinigten Staaten vergeblich versucht haben, glaubwürdige Antworten von Russland zu dem neuen Raketensystem zu erhalten.

Bereits zu Obamas Regierungszeit sollen die USA festgestellt haben, dass Russland gegen den INF-Vertrag verstoße, indem es eine neue bodengestützte Mittelstreckenrakete mittlerer Geschwindigkeit entwickele und teste.

Auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, forderte Russland und die USA zur Erhaltung des Vertrages auf, und warnte, Europa wolle nicht noch einmal ein Schlachtfeld für die Weltmächte werden, wie es im Kalten Krieg der Fall war.

In einer Pressekonferenz des NATO-Außenministertreffens erklärte Stoltenberg, Russland habe die Existenz des Raketensystems 9M729 lange Zeit abgestritten, jüngst aber bestätigt, da sie mit immer mehr Informationen konfrontiert worden seien. Er unterstrich:

„Und jetzt versuchen sie der Welt zu sagen, dass dieses neue Raketensystem nicht gegen den Vertrag verstößt. Es ist ein bisschen seltsam, dass sie jahrelang die Existenz eines Systems bestritten haben, wenn es rundum mit dem Vertrag in Übereinstimmung gestanden hat.“

Putin: Raketensystem 9M729 kein Verstoß gegen INF

„Wie wird die Antwort von unserer Seite sein? Ganz einfach: Wir werden das auch tun“, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin, und ergänzte, Russland werde sich aus dem INF-Vertrag zurückziehen, sobald die USA diesen Schritt gingen. Man sei gegen die Zerstörung dieses Vertrages. Aber wenn dies geschieht, werde Russland entsprechend reagieren. Die Forderung zur Vernichtung seiner nuklearfähigen Rakete lehnt Moskau ab. Putin sagte, Washington habe bereits beschlossen, den INF-Vertrag aufzukündigen und einen Betrag für die Entwicklung von Raketen vorgesehen, die vertragswidrig seien.

„Sie dachten, wir würden es nicht merken“, merkte er an, und, dass die Vereinigten Staaten Russland als Sündenbock für das mögliche Ende des INF- Atomwaffenabkommens machen würden.

Kreml-Sprecher Dmitry Peskov ergänzte, Russland habe den INF-Vertrag nicht verletzt und hielte weiterhin an seiner Vertragsbindung fest.

Offene Konfrontation im Asowschen Meer

Zuletzt hatte der Vorfall im Asowschen Meer, in der Straße von Kertsch, die Spannungen zwischen Kiew und Moskau verschärft.

Die russische Küstenwache hatte ukrainischen Schiffen die Durchfahrt zum Asowschen Meer verweigert und die Schiffe beschossen, wobei mehrere Marinesoldaten verletzt wurden. Den anschließend 24 inhaftierten Besatzungsmitgliedern, darunter zwei Mitarbeitern der ukrainischen Spionageabwehr, drohen in Russland bis zu sechs Jahre Freiheitsstrafen. Der Vorwurf des FSB, dem russischen Inlandsgeheimdienst, lautet, als organisierte Gruppe illegal die russisch-marine Hoheitsgrenze überschritten zu haben. Moskau betrachtet die Meerenge, die das Asowsche Meer mit dem Schwarzen Meer verbindet und zwischen dem ukrainischen Festland, Russland und der durch Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim gelegen ist, als russisches Hoheitsgewässer. Kiew warf Moskau militärische Aggression vor und verhängte das Kriegsrecht in Teilen der Ukraine.

Die Straße von Kertsch bildet die einzige wirtschaftlich wichtige marine Passage für das am Asowschen Meer gelegene ca. 370 km ukrainische Festland, darunter die Hafenstädte Mariupol und Berdjansk. Die völkerrechtswidrig annektierte Krim wird innerhalb der NATO nicht als russisches Hoheitsgebiet akzeptiert.

Offene Hybridtaktik Moskaus

Im Kontrast zu den bisher beobachteten hybriden Kriegstaktiken Russlands in der Ostukraine und der durch Russland annektierten Krim, ist dies eine russisch-militärische Aktion, die nicht verdeckt, sondern offen vollzogen wurde. Der Hybridkrieg ist eine Kombination militärischer und ziviler Aktionen, die verdeckt oder offen geschehen, um ein Land zu destabilisieren.

Poroschenko: Moskau verletzt Genfer Konvention

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg betonte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, dass es sich bei den von Russland inhaftierten ukrainischen Marineoffizieren um Kriegsgefangene handele und Russland die Genfer Konvention missachte. Er habe der NATO eine Liste mit Mitgliedern des FSB gegeben, die an der Klage gegen die ukrainischen Marinesoldaten beteiligt waren.

„Wir sprechen hier nicht nur über den FSB, wir sprechen über die Richter, wir sprechen über die Staatsanwälte, die versuchten, ukrainische Matrosen ins Gefängnis zu stecken“, sagte Poroschenko.

Als Reaktion auf die Eskalation im Asowschen Meer flog die US-Luftwaffe einen unbewaffneten Solidaritätsflug mit internationalen Beobachtern im Rahmen eines internationalen militärischen Überwachungsabkommens über die Ukraine. Trump sagte in einem Tweet das bevorstehende Treffen mit Putin in letzter Minute zum G20-Gipfel in Argentinien vor dem Hintergrund der neuen Eskalation ab.

In einer ersten Reaktion sagte Stoltenberg, es gäbe keine Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt durch Russland und forderte die Freilassung der ukrainischen Seeleute und Schiffe sowie die Freiheit der Navigation und den ungehinderten Zugang zu den ukrainischen Häfen in das Meer von Azow. Mit der Behinderung ukrainischer Handelsschiffe wolle Russland die Stabilität der Ukraine untergraben. Gleichzeitig rief er zur Besonnenheit und Deeskalation auf. Er verwies auf die erhöhte NATO-Präsenz in der Schwarzmeerregion, die NATO unterstütze die Ukraine weiterhin politisch und praktisch durch Logistik und militärische Ausbildung. In einer Sitzung der NATO-Ukraine-Kommission sagten die NATO-Verbündeten Kiew weiterhin ihre Solidarität für dessen territoriale Integrität und Souveränität zu. Zudem ermutigte die NATO die Ukraine in deren Bestrebung, dem NATO-Bündnis beizutreten und den demokratischen Reformprozess weiter voranzutreiben. Poroschenko habe der NATO zugesichert, dass sein Erlass über die Verhängung des Kriegsrechts keine Schwierigkeiten für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen und den politisch-demokratischen Prozess in der Ukraine schaffen werde. Kritiker werfen Poroschenko vor, das Kriegsrecht gezielt für seine umkämpfte Wiederwahl am 31. März zu nutzen.

Putin beschuldigt Poroschenko, den Zusammenstoß in der Straße von Kertsch bewusst provoziert zu haben, um seine Umfragewerte vor seiner Wiederwahl zu steigern.

Unterdessen kündigte die Europäische Union an, neun weitere Personen auf die Sanktionsliste zu setzen, da diese an der Organisation von Wahlen in den von den prorussischen Separatisten in Donezk und den benachbarten Luhansk-Regionen kontrollierten Gebieten der Ostukraine beteiligt waren. Die Wahlumfragen im November werten Kiew und internationale Unterstützer, darunter die EU, als Betrug.

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Die neue freie Welt – Nach dem Trump-Putin-Treffen

Von Michelle Eickmeier

Nach dem halben Eklat aufgrund der Angriffe im Zick-Zack-Kurs von US-Präsident Donald Trump gegen NATO-Verbündete, allen voran Deutschland, auf dem NATO-Gipfel, fiel dann auch der Vorhang auf der viel beachteten Pressekonferenz von Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin in Helsinki. Von den eigentlichen Herausforderungen der NATO scheint Trump nicht viel mitbekommen zu haben. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, die Bühnen-Posse im nicht-linearen Wettringen steht nicht schlecht für den Kreml-Chef.

Dass Putin die russische Einmischung in die US-Wahl auf der Pressekonferenz mit Trump in Helsinki abstreitet, war abzusehen. Wie ein Messer im Rücken der US-Geheimdienste und überhaupt des Westens wirkte dahingegen die Aussage Trumps, er sähe keinen Grund, warum Russland sich in die US-Wahl eingemischt haben sollte, die er nach hagelnder Kritik revidierte:

„Ich sagte das Wort „würde“ anstatt ‘würde nicht’. Der Satz sollte heißen, ‘Ich sehe keinen Grund, warum es nicht Russland sein würde.“’

Trump halte Putin persönlich für Wahleinmischungen verantwortlich, sagte er zwei Tage nach dem Treffen mit Putin.
Die später dementierte öffentliche Rückendeckung für Putin zeigt nicht nur, dass Trump die hybride Bedrohung durch Moskau noch immer nicht ernst nimmt – Trump stellt eigene Interessen über die Sicherheitsinteressen seines Landes. Welcher Präsident lässt sich schon gerne nachsagen, dass er nur mit Hilfe der illegalen Wahleinmischung einer feindlichen Nation ins Amt gewählt wurde. Zu gerne lenkt Trump von der Russland-Affäre ab, in der er und sein Wahlkampfteam bis zum Halse stecken, und die er bis heute als „Hexenjagd“ diskreditiert.

Der Ex-CIA-Chef John Brennan kritisierte Trump scharf – Trumps Auftritt in Helsinki sei nichts weniger als Verrat gewesen, twitterte Brennan.

US-Sonderermittler Robert Mueller untersucht, ob es eine Absprache und kriminelle Verbindungen zwischen Trump, seinen Mitarbeitern und russischen Geheimdiensten während seiner Wahlkampagne 2016 gegeben hat. Trump sagte neuerlich, die Untersuchung schade den Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Russland. Mueller, der bereits eine Anklageschrift gegen 13 Russen und drei russische Firmen aufgrund der Einmischung in die Wahl mit einer breit angelegten Social-Media-Kampagne vorlegte, ermittelt auch, ob Trump sich in der Absetzung des ehemaligen FBI-Chefs James Comey der Justizbehinderung schuldig gemacht hat, um somit die Russland-Ermittlungen zu vereiteln. Trump und Moskau bestreiten eine gemeinsame Absprache sowie eine Justizbehinderung.

US-Geheimdienste bestätigten bereits im Januar 2017 das Eingreifen Russlands in die US-Wahl 2016 durch Cyberangriffe und Propaganda, was den Wahlsieg von Trump begünstigt haben soll. Dahinter steht die von Moskau gesteuerte Hybrid-Taktik, bzw. die nicht-lineare Kriegsführung, auf die westliche Geheimdienste, die NATO sowie die EU immer wieder hinweisen. Neben der separaten strafrechtlichen Untersuchung von Sonderberater Mueller ermitteln zwei Kongressausschüsse in einer jeweils unabhängigen Untersuchung, ob Russland durch das Hacken und Veröffentlichen kompromittierender E-Mails des „Democratic National Commitee“ (DNC) die Kandidatur von Hillary Clinton zu diskreditieren suchte.

Anklage gegen russische Geheimdienstbeamte

Nur drei Tage vor dem Treffen von Trump und Putin verkündete der stellvertretende US-Justizminister Rod Rosenstein eine Anklageschrift gegen 12 russische Geheimdienstbeamte wegen dem Cyberangriff auf das Computernetzwerk des Wahlkampfkomitees der Demokraten und Hillary Clinton, um sich zugunsten von Trump in die Präsidentschaftswahl von 2016 einzumischen. Die USA fordern eine Auslieferung der angeklagten Geheimagenten von Russland. Laut der neuerlichen Anklage soll der russische Militärgeheimdienst GRU große Datenmengen vom Netzwerk erbeutet haben, um diese dann weiterzugeben und zu veröffentlichen. Das russische Außenministerium dementierte die Vorwürfe.

Der Anklageschrift zufolge sollen sich die russischen Hacker als „DCLEaks“ und „Guccifer 2.0“ ausgegeben haben und einen Kandidaten für den US-Kongress direkt unterstützt haben, indem sie diesem angeforderte und erbeutete DNC-Dokumente zukommen ließen, die auch ein Reporter erhalten haben soll.

Zudem soll es laut Anklageschrift zu einer umfangreichen Zusammenarbeit zwischen den russischen Hackern und der sog. „Organisation 1“ gekommen sein. Ob es sich bei dieser namentlich nicht genannten „Organisation 1“ um WikiLeaks handelt, wurde bislang nicht bestätigt. Jedoch entspricht das Datum des 22. Juli 2016, an dem nach Anklageschrift über 20.000 E-Mails und andere Dokumente aus dem DNC-Netzwerk gestohlen wurden, dem Zeitpunkt, an dem WikiLeaks begann, interne DNC-Dokumente zu veröffentlichen.

Nach Informationen, die sich auf vertrauliche Dokumente und die Aussagen ehemaliger US-Beamten stützen, soll ein von Wladimir Putin und Geheimdienstmitarbeitern kontrollierter „Think Tank“ einen Plan entwickelt haben, um den US-Wahlkampf zu beeinflussen, wie bereits im April 2017 durch die Nachrichtenagentur Reuters bekannt wurde.

Unterdessen veröffentlichte RFE/RL neue Rechercheergebnisse zu den wegen des DNC-Hacks angeklagten Personen und russischen Geheimdiensteinheiten und kommt zu einem höchst brisanten Schluss: Demnach soll die Militäreinheit, die für die Operation der Veröffentlichung und Weitergabe des DNC-Hacks verantwortlich sein soll, eine identische Adresse mit dem GRU-Offizier Oleg Ivannikov, bzw. „Orion“ aufweisen, den das unabhängige Recherchenetzwerk Bellingcat als einen der Hauptverantwortlichen für den Abschuss der MH17-Passagiermaschine über der Ostukraine identifizierte.

Hybride Angriffe nonstop

Neben dem Nervengift-Anschlag in Großbritannien auf den russischen Ex-Agenten Sergei Skripal und seine Tochter Yulia Skripal, für den der Westen Moskau verantwortlich sieht, was der Kreml weiterhin abstreitet, wurde unlängst eine russische Agentin in den USA überführt. Maria Butana soll sich laut US-Strafverfolgungsbehörde wegen der Verschwörung gegen die USA im Auftrag der russischen Regierung schuldig gemacht haben, indem sie die US-Politik und politische Gruppen wie eine Waffenrechts-Organisation zu infiltrieren versuchte. Butana plädierte vor dem US-Bundesgericht auf nicht schuldig.

Am Freitag sah sich das US-Justizministerium in der Pflicht, die Öffentlichkeit vor der russischen Einflussnahme zu warnen. Der stellvertretende US-Justizminister Rosenstein sagte:

“Die amerikanischen Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wenn ausländische Regierungen auf sie mit Propaganda abzielen.“

Nach der Pressekonferenz mit Putin musste Trump im Anschluss einiges dementieren, dass vom Treffen in Helsinki nur leere Worthülsen übrig scheinen.

„Hat Russland die Vereinigten Staaten noch immer im Visier?“, fragt ein Journalist im Weißen Haus. „Nein. Danke.“, antwortet Trump. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Sarah Sanders, klärte auch diesen Irrtum auf – Trump habe das „Nein“ bezogen auf weitere Fragen von Reportern gemeint. Sowohl US-Geheimdienstchef Dan Coats als auch FBI-Direktor Christopher Wray betonten, die Position der Geheimdienste sei noch immer dieselbe, dass Russland weiterhin versuche, die Demokratie der USA zu untergraben, was auch künftige Wahleinmischungen beträfe. Zu den bevorstehenden Midterm-Wahlen, also den Zwischenwahlen in den USA im November 2018, warnen die US-Geheimdienste schon länger vor einem russischen Eingreifen, um die Innenpolitik zu beeinflussen. Trump versicherte Coats im TV-Interview mit CBS News, er vertraue auf die Expertise von Coats, er mache einen sehr guten Job.

Hinter der zunehmenden mangelnden Transparenz und dem Versuch Moskaus, seinen politischen Einfluss in Europa und den USA zu erweitern, steht seine hybride Kriegsführung gegen den Westen, mit dem Ziel der Destabilisierung. Davor warnte die EU in Kooperation mit der NATO und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf dem G7-Gipfel in Kanada appellierten die Staats- und Regierungschefs an Moskau, westliche Demokratien nicht weiter zu unterminieren, und drohten mit weiteren Sanktionen. Daher stellt sich die NATO immer wieder dieser Herausforderung, so auch auf dem NATO-Gipfel in Brüssel.

Denn ein hybrider Angriff kann den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages und damit den Bündnisfall auslösen. Das hatte die NATO bereits auf dem Gipfeltreffen in Warschau 2016 vereinbart. Daher, und aufgrund der engen NATO-EU-Kooperation, ist das US-europäische Bündnis innerhalb der NATO keineswegs unerheblich. Die NATO implementiert Cyber-Sicherheit in ihre kollektive Verteidigung. So wird beispielsweise ein staatlich gelenkter Cyber-Angriff als ein Element hybrider Kriegstaktik und ein bewaffneter Angriff in der Geo-Politik verstanden. Umso mehr gefragt ist daher ein US-Präsident, der sich eindeutig zur NATO bekennt, was der Trumpschen Rhetorik nicht immer entspricht.

In den Hintergrund dabei gerät das Anliegen der NATO, ihre Fähigkeiten zum Schutz kritischer Infrastrukturen gegen hybride Angriffe auszuweiten.

Das transatlantische Bündnis beschuldigt Russland, die euro-atlantische Sicherheit und Stabilität durch hybride Maßnahmen zu untergraben:

„Russlands aggressives Vorgehen, einschließlich der Androhung und Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele, fordert das Bündnis heraus und untergräbt die euro-atlantische Sicherheit und die auf Regeln basierende internationale Ordnung.“

Den Vorschlag Putins, Ermittler der US-Justizbehörde sollten die 12 angeklagten Russen zur Wahleinmischung befragen, und im Gegenzug sollten russische Ermittler US-Diplomaten, denen sie „illegale Aktivitäten“ vorwerfen, befragen, lehnte Trump ab. Auf der Pressekonferenz nannte Trump die Idee noch ein „unglaubliches Angebot.“ Von einer potentiellen Befragung durch russische Behörden betroffen wäre auch der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul. Das US-Außenministerium nannte den Vorschlag „absurd“. Der US-Senat stimmte in einer Resolution mit überwältigender Mehrheit gegen den Vorschlag. Bestimmt äußerte sich auch US-Außenminister Mike Pompeo, der sagte, die USA würden Amerikaner nicht unter Zwang nach Russland schicken, um dort von Putin und seinem Team verhört zu werden.

Derartige Zugeständnisse an Moskau wären eine starke Abkehr vom Kurs, den der Westen derzeit gegen Moskau auffährt. Zwar setzt die NATO auf einen Dialog mit Russland, gleichzeitig aber auch auf geschlossene Stärke und Verteidigung. Zudem wurden Russland seit März 2014 aufgrund des angekündigten Referendums auf der Krim Sanktionen durch die EU, die Vereinigten Staaten und andere Staaten auferlegt.

Noch während des Treffens mit Trump sagte Putin, die USA und Russland ständen nicht im Kalten Krieg:

„Der Kalte Krieg ist längst vorbei. Die Ära einer ideologischen Feindschaft zwischen den Ländern liegt in der Vergangenheit.“

Im Anschluss hingegen kommentierte Putin das Treffen zwar als möglichen Weg für einen positiven Wandel der Beziehungen zwischen den USA und Russland, jedoch sei es in mancher Hinsicht schlimmer als während des Kalten Krieges, da ungenannte Kräfte in den USA dem entgegenstünden und Parteiinteressen über das nationale Interesse stellten. Eine ähnliche, nur umgekehrte Ansicht vertreten auch NATO-Beobachter, die im Verhalten Moskaus den Versuch sehen, die NATO zu destabilisieren, wenn nicht zerstören zu wollen.

Putin – Zurück auf der Weltbühne

Putin ist seinem Anspruch, nach dem Zerfall der Sowjetunion als wiedererstarkte Großmacht auf der Weltbühne in Erscheinung zu treten, sehr nahe gekommen.

Als wolle Trump ihm diese neue Augenhöhe versichern, sagte er auf der Pressekonferenz  auf Nachfrage zu seiner kürzlichen Nord Stream 2-Kritik:

„Eigentlich nannte ich ihn einen Konkurrenten, und er ist ein guter Wettbewerber, und ich denke das Wort Konkurrent ist ein Kompliment.“

Weniger aufpoliert erscheint nach dem Trump-Putin-Treffen die liberal-demokratische Ordnung des Westens, die schmerzlich an Glanz einbüßt.

Die freie Welt, als dessen Anführer sich die USA laut US-Vizepräsident Mike Pence sieht, fühlt sich verraten.

Die Hybrid-Taktiken Moskaus und der ewige Zickzack-Kurs Trumps schaffen eine neue Welt, in der die Wahrheit relativ ist oder zu „fake news“ degradiert wird.

Trump und Putin scheinen in einigen wesentlichen Ansichten, die den Werten einer gesunden Demokratie entgegenstehen, nahezu übereinzustimmen. Die nicht-lineare Destabilisierungs-Taktik gleicht dem nicht-linearen Regierungsstil Trumps.

Journalisten bezeichnete Trump jüngst als „Volksfeinde“, einem sowjetischen Begriff aus der Stalin-Ära.

In Russland werden Journalisten neuerdings mit der staatlichen Auszeichnung als „ehrenwerter Journalist“ gewürdigt, sofern sie nicht zu subjektiv berichten. Eine Auszeichnung, die der ermordeten Investigativ-Journalistin Anna Politkowskaja und den vielen anderen Mordopfern unter den Russlandkritischen Journalisten nicht zuteilwurde. Meinungs- und Pressefreiheit – Fehlanzeige. Russische NGOs drohen, als „Auslandsagenten“ gebrandmarkt zu werden. Bezogen auf den US-Handel, nannte Trump die EU kürzlich einen „Feind“, während Putin die EU auf nicht-linearem, also hybridem Weg, vor allem politisch destabilisieren will.

Das neue NATO-Mitglied, Montenegro, wird vom Kreml schon lange voller Ablehnung, begleitet und von Desinformationskampagnen beäugt, da Moskau prinzipiell gegen jede NATO-Erweiterung ist und nicht akzeptieren will, dass das Militärbündnis eine demokratische Politik der offenen Türe inne hat. Jetzt kritisierte auch Trump in einem Interview mit Fox News die Montenegriner als „aggressive“ Menschen, die gefährlich für das Bündnis seien, da sie fähig seien, den Dritten Weltkrieg auszulösen. Unvergessen ist, wie Trump Staatspräsident Milo Djukanovic auf dem NATO-Gipfel 2017 vor laufender Kamera schubste. Der Balkan-Staat entgegnete mit Blick auf seine Geschichte, es sei die erste Nation Europas gewesen, die sich dem Faschismus widersetzte und sich heute an der Seite der USA weltweit für Frieden und Stabilität einsetze. Eine Studie des Foreign Policy Research Institute (FPRI) dokumentiert den abgewendeten Putschversuch, den die Regierung von Djukanovic im Jahr 2016 durchlebte, und hinter dem die russischen Geheimdienste GRU und FSB stehen sollen. Die Sonderstaatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität wirft den Agenten die Absicht vor, sie haben landesweite Proteste mittels politischer Gewalt auszulösen versucht, um die Regierung zu stürzen.

Wenn Trump die Russland-Ermittlungen als „Hexenjagd“ bezeichnet, ist dies Wasser auf die Mühlen Putins, der die Wahleinmischung ohnehin abstreitet.

In punkto Georgien und Ukraine warnte Putin die NATO vor engeren Beziehungen zu beiden Ländern und stellte klar,

eine solche Politik sei unverantwortlich und hätte nicht näher definierte Konsequenzen für das Bündnis. Man werde angemessen auf solche aggressiven Schritte reagieren, die eine direkte Bedrohung für Russland darstellten, drohte Putin, der angab, die Thematik mit Trump in Helsinki besprochen zu haben. Ob dies der Inhalt des geheimnisvollen Vieraugengespräches von Trump und Putin war, bleibt fraglich.

Georgien und die Ukraine bemühen sich längst um einen NATO-Beitritt, vor allem aus Angst vor einer territorialen Besetzung durch Russland. Die Ost-Ukraine befindet sich nach der Annexion der Krim weiterhin in einem heißen Krieg, da es von russischen Separatisten besetzt wird.

Auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz fragte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, dem es um die Verteidigung und Souveränität der Ukraine geht, ob es in Zukunft eine russische Welt von alternativen Werten, oder eine freie Welt mit allgemeingültigen Werten geben werde. Dabei appellierte er, dem Kampf gegen die wachsende hybride Bedrohung durch Russland gemeinsam entgegenzustehen und zu beweisen, dass Erpressung und Aggression Europa nicht zerstören könne.

Eben wegen der Annexion der Krim, der zunehmenden russischen Präsenz und die in Moldawien und zwei abtrünnigen Regionen Georgiens stationierten russischen Streitkräfte, setzt die NATO auf die größte Verstärkung ihrer kollektiven Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges.

„Als die größten Atommächte haben wir eine besondere Verantwortung für die internationale Sicherheit.“ – Wladimir Putin auf der Pressekonferenz in Helsinki.

Wohin es mit Russland gehen soll, demonstrierte das russische Staatsfernsehen nur wenige Tage nach dem Gespräch von Trump mit Putin zur Vermeidung eines Wettrüstens – das russische Verteidigungsministerium ließ eine neue Hyperschallrakete seines konventionellen Waffen- und Nuklear-Programms über die Bildschirme sausen und kündigte neue Flugtests für atomgetriebene Marschflugkörper an.

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Atlantis(che)-Stimmung – Die NATO und der Trump-Effekt

Von Michelle Eickmeier

„Wir hatten exzellenten Orangensaft und etwas Toast, und etwas Fruchtsalat, ein gutes Frühstück, bezahlt von den Vereinigten Staaten“, scherzte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg über das morgendliche Frühstück mit US-Präsident Donald Trump am Rande des NATO-Gipfels und löste damit breites Gelächter aus. Zur Frage, ob sich Trumps Beharren auf die Verteidigungsausgaben kontraproduktiv auf den Zusammenhalt des Bündnisses auswirken könnte, sagte Stoltenberg, „was wir sehen, ist, dass die Verteidigungsausgaben steigen, und ich denke, das ist es, was ich dazu sagen muss. [Gelächter im Saal] Tatsache ist, dass die Verteidigungsausgaben steigen.“ Stoltenberg dankte Trump für „seine Führungsrolle bei den Verteidigungsausgaben“. Es habe eindeutig Auswirkungen.

Beim Frühstück schmierte Trump dem NATO-Generalsekretär nochmal dick aufs Brot, dass die Vereinigten Staaten 4,2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgäben, während Deutschland hingegen nur auf etwa ein Prozent käme.

Die NATO legte offizielle Zahlen zu den Verteidigungsausgaben vor. Richtig ist, die Bundesrepublik konnte unverändert im Vergleich zum vergangenen Jahr lediglich 1,24 Prozent seines BIP für Verteidigungsausgaben erreichen und kommt dem Zwei-Prozent-Ziel somit nicht näher. Die Quote der USA ist leicht gesunken und liegt im diesem Jahr bei 3,5 Prozent.

In der aktuellen Erklärung der Staats- und Regierungschefs des NATO-Gipfels wurde die Deadline bis 2024 angesetzt, dass bis dahin etwa zwei Drittel der Verbündeten nationale Pläne umzusetzen haben, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Dies entspricht ebenfalls der Vereinbarung vom vergangenen Jahr, nationale Pläne zur Lastenteilung zu entwickeln. Basierend auf diesen Plänen und Zusagen durch Kanada und die EU-NATO-Partner erwartet die NATO 266 Milliarden US-Dollar zusätzlicher Investition für die Verteidigung bis 2024.

Die Verteidigungsausgaben stiegen nach der Annexion der Krim rasant an. Quelle: NATO official figures
Die Verteidigungsausgaben stiegen nach der Annexion der Krim rasant an. Quelle: NATO official figures.

Stoltenberg hält fest, im letzten Jahr sei der größte Anstieg der Verteidigungsausgaben seit dem Ende des Kalten Krieges zu sehen, alle Verbündeten hätten ihre Verteidigungsausgaben erhöht.

Als Grund dafür und die größte Verstärkung der kollektiven Verteidigung der NATO seit dem Ende des Kalten Krieges sieht die NATO, neben der Annexion der Krim, die zunehmende russische Durchsetzungsfähigkeit und Präsenz sowie die in Georgien und Moldawien stationierten russischen Truppen.

Am Ende des NATO-Gipfels resümierte Stoltenberg, die NATO sei stärker denn je. 41 Milliarden Dollar seien seit dem Amtsantritt von Trump zusätzlich in die Verteidigung investiert worden, äußerte Stoltenberg.

Trump schreibt sich selbst diesen Erfolg zu – ungeachtet der Tatsache, dass die Verteidigungsausgaben bereits einen rasanten Anstieg im direkten Zusammenhang und als Reaktion auf die Annexion der Krim im Jahr 2014 erfuhren, als er noch nicht US-Präsident war:

„Er [Jens Stoltenberg] dankte mir tatsächlich, und alle im Raum bedankten sich bei mir. In diesem Raum herrscht ein kollegialer Geist, den sie, wie ich glaube, viele Jahre nicht hatten. Sie sind sehr stark. Also ja, sehr vereint, sehr stark, kein Problem.“

Der Trump-Effekt macht sich in allgemeiner Verunsicherung bemerkbar. Trump droht mit einem Alleingang der USA, Trump bekennt sich doch zur NATO – selbst ranghohe NATO-Offizielle können nicht mehr sicher voraussehen, woran sie morgen bei Trump sind.

Amtskollegen deuten Trumps Absichten, um sie der Öffentlichkeit verständlich zu machen. So kürzlich der US-Republikaner Mitch McConnell, der sich augenblicklich keine Sorgen darüber macht, Trump wolle aus der NATO austreten.

Der US-Senat stimmte kurz vor dem Auftakt des NATO-Gipfels mit überragender Mehrheit für einen Antrag, in dem er sich geschlossen zur NATO bekannte, wozu er sich aufgrund der durch Trump ausgelösten Verunsicherung veranlasst sah.

Unsicherheit ist nicht gerade das, was sich EU-NATO-Verbündete wünschen, denn die Vereinigten Staaten gelten als ihre wichtigsten Verbündeten. Die Militärpräsenz der USA in Europa sei um 40 Prozent seit dem Amtsantritt von Trump gestiegen, stellt Stoltenberg fest.

Eine „Wirkung“ hat Trump ganz sicher, besonders auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die den Seitenhieb Trumps, Deutschland sei total von Russland kontrolliert und sein Gefangener, da es 60 bis 70 Prozent seiner Energie von Russland und eine neue Pipeline erhalte, nicht lange auf sich sitzen ließ. Mit Betonung auf die Freiheit zur eigenständigen Politik bemerkte Kanzlerin Merkel, dass sie selbst erlebt habe, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert wurde, und sie sehr froh sei, heute in Freiheit als die Bundesrepublik Deutschland vereint zu sein.

Atlantis(che)-Stimmung in der NATO

Die NATO durchlebt derzeit heftige innere und äußere Spannungen. Wenn Stoltenberg von einem „schwierigen Partner“ wie Russland spricht, was der NATO bereits einen dualen Ansatz der Verteidigung und des gleichzeitigen Dialogs abverlangt, muss sie auch Trump mit psychologisch-pädagogischem Geschick richtig anzufassen verstehen. Trump reduziert das transatlantische Bündnis auf Verteidigungsausgaben und Zahlen, als käme er zu einem Wirtschaftsgipfel. Sein Vorwurf, die USA sollen Deutschland beschützen, aber Deutschland beziehe seine Energie durch Erdgas von Russland, kratzt empfindlich am Herzstück der NATO, dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrages. Demnach tritt der Bündnisfall nach einem Angriff auf ein NATO-Mitglied ein, der als ein Angriff gegen alle Mitglieder verstanden wird. Der Bündnisfall trat bisher nur einmal als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in Kraft, wo Zahlen hinter dem Komma noch nicht überbewertet wurden. Trump blendet aus, dass die jeweiligen Verteidigungsausgaben der NATO-Mitglieder immer eine Investition in die eigene nationale Sicherheit sind und nicht auf ein Konto in Brüssel gehen. Es gibt im transatlantischen Bündnis keine Unterscheidung zwischen voll- oder minderwertigen NATO-Mitgliedern.

Bereits im Vorfeld des NATO-Gipfels ging Trump auf einer Rede im US-Bundesstaat Montana frontal im Mafia-Stil Kanzlerin Merkel an:

„Und ich sagte, weißt Du, Angela, ich kann es nicht garantieren, aber wir schützen Dich, und es bedeutet viel mehr für Dich als uns zu beschützen, weil ich nicht weiß, wie viel Schutz wir bekommen, wenn wir Dich beschützen.“

Nicht verwunderlich ist es demnach, wenn der NATO-Generalsekretär nach 70jährigem Bestehen des transatlantischen Bündnisses sagt:

„Es ist nicht in Stein geschrieben, es ist kein Naturgesetz, dass wir die NATO für immer haben werden. Ich glaube, es ist möglich.“

Politische Verpflichtung sei wichtig, fügte Stoltenberg hinzu. Wie wichtig die USA als Bündnispartner für die NATO sind, machte Stoltenberg deutlich:

„Nach dem Brexit werden 80 Prozent der Verteidigungsausgaben der NATO von Nicht-EU-Verbündeten kommen. Deshalb müssen wir auch die größtmögliche Einbeziehung von Nicht-EU-Bündnispartnern in unsere Zusammenarbeit sicherstellen.“

Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte an Trump: “Liebes Amerika, schätzen Sie Ihre Verbündeten, schließlich haben Sie nicht so viele.”

Trump kritisiert Nord Stream 2

Trumps implementierte Aufforderung an Deutschland, entweder den Gasvertrag mit Russland aufzulösen oder alternativ vier Prozent seines BIPs bis spätestens 2019 zu zahlen, wie er zum Ende des Gipfeltreffens nochmals nach oben korrigierte, ist nicht die Sprache, die seinem Amtskollegen Wladimir Putin, mit dem Trump am Montag zu einem Tête-à-Tête in Helsinki zusammenkommen wird, gefallen dürfte. Der Kreml äußerte sich bereits und bestritt die Bezeichnung Trumps, Deutschland sei Russlands „Gefangener“.

Der Kreml bezeichnete Trumps Nord Stream 2-Kritik als „Kampagne der Vereinigten Staaten, um Europa zum Kauf amerikanischer Energielieferungen zu zwingen“ und spricht von „unlauteren Wettbewerb“. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf einen Sprecher des US-Außenministeriums beziehen, sollen westliche Unternehmen, die in Nord Stream 2 investierten, Sanktionsrisiken ausgesetzt sein. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow deutete die US-Haltung als den Versuch, den eigenen Energiesektor in den USA zu pushen. Gleichzeitig versicherte Peskow, die Versorgung mit Pipeline-Gas führe zu einer gegenseitigen Abhängigkeit und sei eine Garantie für Stabilität und zukünftige Entwicklung. „Wir denken, dass es eine Frage des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist.“ Die Käufer müssten ihre eigene Entscheidung treffen, fügte Peskow hinzu.

Das Nord Stream 2-Gaspipeline-Projekt, das Trump in Frage stellt, soll bis Ende 2019 realisiert werden und Gas aus der Russischen Föderation nach Deutschland liefern. Bislang wird Deutschland durch die Nord-Stream-Pipeline, die durch die Ostsee verlegt ist, mit Erdgas beliefert, von der 51 Prozent der Anteile von Gazprom gehalten werden. Das Nord Stream 2-Projekt, das parallel zur bereits bestehenden Pipeline verlaufen soll, steht inoffiziell in der Kritik, da es durch die russischen Gasimporte die Abhängigkeit von Russland als Monopolmacht in Europa erhöhen würde. Zudem steht es im Kern den Zielen der Energieunion entgegen, die sich für die Schaffung eines einheitlich-europäischen Energiemarktes und europäische Solidarität im Bereich der Energiesicherheit unter den Mitgliedsstaaten einsetzt. Bereits im Jahr 2015 blockierte die EU die South Stream-Pipeline von Gazprom.

Fakt ist, im Jahr 2016 wurden 41 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs u. A. durch Importe aus Dänemark und Russland gedeckt. Ein leichter Anstieg um zwei Prozent im Vergleich zu 2006. Der Erdgasbezug von deutschen Bezugsquellen hingegen ist stark gesunken – im Jahr 2016 waren es sieben Prozent im Vergleich zu 2006 noch 16 Prozent (Quelle: Statista, online abgerufen 12.07.2018). Deutschland importiert neben Erdgas vor allem auch Rohöl, u. A. von Russland, um seinen Energiebedarf zu decken. Rohöl im Wert von rund 32,05 Milliarden Euro sowie 24,03 Milliarden an Erdgas wurden im Jahr 2017 nach Deutschland importiert (Quelle: Statista). Russland, Norwegen und Großbritannien zählen zu den wichtigsten Ursprungsländern deutscher Rohölimporte (Quelle: Statista). So zählte das Vereinigte Königreich 98 Unternehmen zur Gewinnung von Erdöl und Erdgas im Jahr 2010 (Quelle: Eurostat).

Verteidigung gegen hybride Bedrohung

Einer schwachen, nicht geschlossenen NATO dürfte Russlands Präsident Wladimir Putin, der diese einst als Produkt des Kalten Krieges bezeichnete, nicht abgeneigt sein.

Die NATO verstärkt auch weiterhin ihre Verteidigung gegen die hybride Bedrohung durch Moskau und beschloss in Brüssel eine neue Kommandostruktur, einschließlich eines neuen Kommandos für den Atlantik und ein weiteres in Deutschland. Geplant sind ein Cyberspace-Operations-Zentrum in Belgien, ein Unterstützungskommando in Deutschland zur Gewährleistung schneller Truppenbewegung und ein Einsatzkommando in den USA zum Schutz der transatlantischen Kommunikationswege.

Trump, dem es erst die russische Einmischung ermöglichte, seine Konkurrentin Hillary Clinton im Wahlkampf auszustechen, steckt knietief in der Russland-Affäre. Zahlen sind nicht unwichtig – sein ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort, der wegen Verschwörung zur Geldwäsche, Verschwörung gegen die USA und fehlender Registrierung als ausländischer Agent der ehemaligen pro-russischen Regierung der Ukraine angeklagt wurde, soll 10 Millionen US-Dollar Darlehen vom russischen Oligarchen Oleg Deripaska angenommen haben.

Die Welt sieht gespannt auf das Spitzentreffen von Donald Trump und Wladimir Putin am kommenden Montag. Mit Putin werde er es am einfachsten haben, prophezeite Trump kürzlich.


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AFP/AP/Reuters