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Ende der Rüstungskontrolle? – Ultimatum zur Rettung des Atomwaffenvertrages abgelaufen 

Von Michelle Eickmeier

Das Ultimatum der USA an Russland, den INF-Vertrag zu erfüllen, ist nun nach 60 Tagen abgelaufen. Die USA hatten angekündigt, aus dem Atomwaffenvertrag auszusteigen, sollte Russland nicht sein nuklearfähiges Raketensystem 9M729 zurückziehen. Im Raum steht die Angst vor einem neuen Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und Russland in Europa sowie auf asiatisch-pazifischem Terrain, vor dem Beobachter warnen. Steht die Rüstungskontrolle jetzt vor dem Aus?

Die Positionen der NATO-Verbündeten und Russlands kämen grundsätzlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner, stellte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg noch im Januar auf einer Pressekonferenz im Anschluss an den NATO-Russland-Rat (NRC) fest. Dabei ging es neben dem Krieg in der Ostukraine vor allem um den drohenden Austritt der Vereinigten Staaten aus dem INF-Vertrag über nukleare Streitkräfte (Intermediate Range Nuclear Forces), der das Verbot und die Vernichtung aller nuklearen Mittel- und Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis zu 5.500 Kilometern vorsieht.

Bereits in der von den NATO-Außenministern herausgegebenen Erklärung vom Dezember vergangenen Jahres wird Russland die Entwicklung und der Einsatz des Raketensystems 9M729 (NATO-Code SSC-8) vorgeworfen, der gegen den INF-Vertrag verstoße. Diese Raketen seien besonders gefährlich, weil sie schwer zu lokalisieren, mobil und nuklearfähig seien und zudem die Warnzeit verkürzen. Sie könnten europäische Städte erreichen und daher auch die Schwelle für einen möglichen Einsatz von Atomwaffen im Falle eines Konfliktes in Europa senken, sagte Stoltenberg im Dezember. 

60-Tage-Ultimatum abgelaufen

Die USA hatten Moskau ein 60-Tage-Utimatum gestellt, um zur Einhaltung der Vorschriften zurückzukehren. Allerdings habe Russland nun, da das Ultimatum der USA ausgelaufen ist, noch sechs Monate Gelegenheit, die Vorschriften des INF-Vertrags zu erfüllen, bis der Austrittsprozess der USA aus dem Atomwaffenabkommen des Kalten Krieges vollständig abgeschlossen sei. US-Außenminister Mike Pompeo gab den INF-Rücktritt mit Wirkung zum 2. Februar bereits am Freitag bekannt und kündigte eine offizielle Mitteilung an Moskau an. Sollte Russland keine Schritte in Richtung glaubwürdiger Rüstungskontrolle unternehmen, werde der Vertrag aufgekündigt. Wenige Stunden zuvor gab der Nordatlantikrat, das wichtigste Entscheidungsgremium der NATO, eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie der US-Rücktrittsmitteilung ihre volle Solidarität zuerkannte.

„Ein Vertrag, zu dem zwei Vertragsstaaten gehören und der von einer Seite verletzt wurde, ist de facto ungültig“, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas am Rande eines EU-Außenminister-Treffens in Bukarest.

Über die Motive, warum Russland diese neuen Raketen entwickle und einsetze, könne man nur vorsichtig spekulieren, so Stoltenberg. Verschiedene politische und militärische Verantwortliche, darunter auch Russlands Präsident Wladimir Putin, hätten mehrmals öffentlich ihre Bedenken hinsichtlich des INF-Vertrags bekundet, da dieser ihrer Ansicht nach ihre Reaktionsfähigkeiten angesichts der ansteigenden Entwicklung von Waffen mittlerer Reichweite in Ländern wie China, Indien, Pakistan, Iran und auch Nordkorea beschränke. Aber auch US-Vertreter hatten sich besorgt über ihre Vertragsbindung geäußert, da China, das nicht an den Vertrag gebunden ist, eine Vielzahl von Raketen einsetze.

„Sie haben sich daher bereits besorgt über den Vertrag geäußert, und ich denke, das ist der Hauptgrund, warum sie jetzt auch gegen den Vertrag verstoßen“, sagte Stoltenberg.

Gleichzeitig räumte er ein, dass in den 1980er Jahren nahezu ausschließlich die USA und die Sowjetunion im Besitz von Raketen- oder Waffensystemen mittlerer Reichweite waren, während diese Art von Waffensystemen heute von China, Indien, Pakistan, dem Iran und auch Nordkorea entwickelt werde.

Einige NATO-Vertreter werten Russlands Raketensystem, das sich einfach verstecken lasse, als gezielte Abwehr gegen chinesische Raketenprogramme, was jedoch nicht dessen Einsatz rechtfertige.

Stoltenberg: Russland will ablenken

Umgekehrt beschuldigt Russland die USA, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Gemeint ist das US-Raketenabwehrsystem Mk-41, eine Senkrechtstartanlage für Flugkörper im Meer, stationiert in Polen und Rumänien, das mehrere Raketen abfeuern könne, so auch die Tomahawk-Marschflugkörper, eine Waffe, die vom INF-Abkommen verboten sei, wenn sie auf einem bodengestützten Werfer eingesetzt werden würde, lautet der Vorwurf Moskaus. Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow spricht von Vertragsbruch der USA. Die NATO behauptet, das Raketenabwehrsystem solle Raketen aus dem Iran, nicht aus der Russischen Föderation abschießen.  Zudem beschuldigt Russland das Vorhaben der USA ein Raketenabwehrsystem im Weltraum einzusetzen.

Die NATO sieht jedoch keinen Verstoß gegen den INF-Vertrag – Russland wolle damit vom eigentlichen Problem ablenken: „Es gibt keine neuen US-Raketen in Europa, aber neue russische Raketen in Europa“, unterstrich Stoltenberg. Die NATO-Verbündeten appellieren weiterhin an Russland, den INF-Vertrag durch vollständige Einhaltung der Vorschriften zu wahren. Oberste Priorität ist die Rettung des INF-Vertrags, bevor über mögliche Schritte spekuliert werden könne, machte Stoltenberg deutlich, dem es vor allem um Zurückhaltung und  Deeskalation geht. Die NATO forderte Russland bereits auf dem Gipfeltreffen in Wales im Jahr 2014 zur vollständigen und überprüfbaren Einhaltung des Abkommens auf.

„Der INF-Vertrag ist ein Eckpfeiler für die Rüstungskontrolle für unsere Sicherheit“, sagte Stoltenberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Der potenzielle Zusammenbruch des INF-Vertrags sei derzeit die dringlichste Herausforderung der NATO.

Zukunft der Rüstungskontrolle offen

Mit dem angedrohten Austritt der USA aus dem INF-Vertrag sind 30 Jahre Rüstungskontrolle und Stabilität gefährdet. Im Umgang mit Russland verfolgt die NATO einen dualen Ansatz. Zum Einen will sie sich weiterhin für den Prozess der Rüstungskontrolle einsetzen, gleichzeitig verfolgt sie auch eine militärische Strategie der Abschreckung und Verteidigung. Man werde jedoch nicht notwendigerweise Eins zu Eins das Vorgehen Russlands spiegeln. So begrüßte Stoltenberg die Initiative von Heiko Maas, eine Konferenz in Berlin einzuberufen, um neue Initiativen zur Rüstungskontrolle zu prüfen.

„Ich habe mit meinem russischen Kollegen darüber gesprochen und ihnen gesagt, dass wir darauf setzen, dass Russland seine Vertragsverletzungen korrigiert und seine Marschflugkörper entwaffnet, damit der INF-Vertrag noch eine Chance hat“, sagte Maas, der sich für die Rettung des INF-Abkommens einsetzt.

Ein weiterer Rüstungskontrollvertrag zwischen Russland und den USA, der New-START-Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty), seit dem 5. Februar 2011 in Kraft, läuft 2021 aus. Dieser begrenzt die Anzahl der eingesetzten nuklearen Sprengköpfe auf 1.550. Auf der jährlichen Pressekonferenz im Dezember äußerte sich Putin besorgt über die Zukunft des New-START-Abkommens und kritisierte das mangelnde Interesse der USA. Ein U.S.-Vertreter sagte, die U.S.-Regierung wäge ab, ob New-START um fünf Jahre verlängert werden müsse.

„Es werden noch keine Gespräche über die Erweiterung geführt. Haben die Amerikaner kein Interesse, brauchen sie sie nicht?“, fragte Putin. Für die Menschheit sei das sehr schlecht, da man sich einer gefährlichen Schwelle nähere, gab er zu Bedenken.

INF-Vertrag: Washington drängt Moskau seit Jahren zur Vertragsverpflichtung

Seit 2013 äußern die Vereinigten Staaten Bedenken gegenüber Russland bezüglich der Entwicklung und Tests Russlands neuer bodengestützter Mittelstreckenrakete und sollen vergeblich versucht haben, glaubwürdige Antworten zu dem neuen Raketensystem und Beweise zur Einhaltung des INF-Abkommens von Russland  zu erhalten. Russland habe seine Darstellung wiederholt geändert und die internationale Gemeinschaft irregeführt. In über 30 Treffen, initiiert von den Vereinigten Staaten, mit russischen Vertretern auf höchster Regierungsebene präsentierten sie der russischen Seite technische Informationen über die SSC-8-Rakete.

Moskau präsentiert sich als Sündenbock

Russlands Präsident Wladimir Putin stellte noch im Dezember klar, man sei gegen die Zerstörung dieses Vertrags, doch Washington habe bereits beschlossen, den INF-Vertrag aufzukündigen und einen Betrag für die Entwicklung von Raketen vorgesehen, die vertragswidrig seien. Die Vereinigten Staaten würden Russland als Sündenbock für das mögliche Ende des INF-Atomwaffenabkommens machen, sagte Putin. Mit der Warnung vor einem vollständigen Zusammenbruch der Atomwaffenkontrolle reichte die russische Mission der Vereinten Nationen noch im Dezember einen Resolutionsentwurf ein und forderte zur Aufrechterhaltung des INF-Vertrags entgegen des angedrohten US-Ausstiegs auf. Die Forderung zur Vernichtung seines Raketensystems lehnt Moskau weiterhin ab und bestreitet dessen Nuklearfähigkeit.

Im Januar präsentierte das russische Verteidigungsministerium die den NATO-Russland-Konflikt befeuernde SSC-8-Rakete auf einer Militär-Austellung nahe ihres Raketenstarters in Kuhinka bei Moskau: Sie habe lediglich eine maximale Reichweite von 480 km und verstoße somit nicht gegen den INF-Vertrag, war die Botschaft von Mikhail Matveyevsky, Russlands Militär-Kommandant der Raketen- und Artilleriekräfte. Zahlreiche westliche Diplomaten lehnten die Teilnahme an der Veranstaltung ab.

NATO-Vertreter wiesen die Darstellung erneut zurück und kritisierten die mangelnde Transparenz in der Überprüfbarkeit, da allein die „statische Anzeige“ keinen Hinweis auf ihre Flugentfernung gebe – es sei „reine Show“.

Hintergrund: Der Atomwaffenvertrag aus der Ära des Kalten Krieges ist ein wichtiges Rüstungskontrollabkommen, das seit über 30 Jahren die euro-atlantische Sicherheit garantiert. Er wurde 1987 von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnet, als Russland der Sowjetunion angehörte. Die USA forderten erneut den Rückzug von Russlands mobilem Marschflugkörpersystem, da sich Washington sonst nicht mehr an die Verpflichtungen des Atomabkommens gebunden sieht.

AFP/AP/Reuters/RFE/RL

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Krise zwischen NATO und Moskau – Gefährdeter INF-Vertrag und Konfrontation im Asowschen Meer

Die neue freie Welt – Nach dem Trump-Putin-Treffen

Von Michelle Eickmeier

Nach dem halben Eklat aufgrund der Angriffe im Zick-Zack-Kurs von US-Präsident Donald Trump gegen NATO-Verbündete, allen voran Deutschland, auf dem NATO-Gipfel, fiel dann auch der Vorhang auf der viel beachteten Pressekonferenz von Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin in Helsinki. Von den eigentlichen Herausforderungen der NATO scheint Trump nicht viel mitbekommen zu haben. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, die Bühnen-Posse im nicht-linearen Wettringen steht nicht schlecht für den Kreml-Chef.

Dass Putin die russische Einmischung in die US-Wahl auf der Pressekonferenz mit Trump in Helsinki abstreitet, war abzusehen. Wie ein Messer im Rücken der US-Geheimdienste und überhaupt des Westens wirkte dahingegen die Aussage Trumps, er sähe keinen Grund, warum Russland sich in die US-Wahl eingemischt haben sollte, die er nach hagelnder Kritik revidierte:

„Ich sagte das Wort „würde“ anstatt ‘würde nicht’. Der Satz sollte heißen, ‘Ich sehe keinen Grund, warum es nicht Russland sein würde.“’

Trump halte Putin persönlich für Wahleinmischungen verantwortlich, sagte er zwei Tage nach dem Treffen mit Putin.
Die später dementierte öffentliche Rückendeckung für Putin zeigt nicht nur, dass Trump die hybride Bedrohung durch Moskau noch immer nicht ernst nimmt – Trump stellt eigene Interessen über die Sicherheitsinteressen seines Landes. Welcher Präsident lässt sich schon gerne nachsagen, dass er nur mit Hilfe der illegalen Wahleinmischung einer feindlichen Nation ins Amt gewählt wurde. Zu gerne lenkt Trump von der Russland-Affäre ab, in der er und sein Wahlkampfteam bis zum Halse stecken, und die er bis heute als „Hexenjagd“ diskreditiert.

Der Ex-CIA-Chef John Brennan kritisierte Trump scharf – Trumps Auftritt in Helsinki sei nichts weniger als Verrat gewesen, twitterte Brennan.

US-Sonderermittler Robert Mueller untersucht, ob es eine Absprache und kriminelle Verbindungen zwischen Trump, seinen Mitarbeitern und russischen Geheimdiensten während seiner Wahlkampagne 2016 gegeben hat. Trump sagte neuerlich, die Untersuchung schade den Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Russland. Mueller, der bereits eine Anklageschrift gegen 13 Russen und drei russische Firmen aufgrund der Einmischung in die Wahl mit einer breit angelegten Social-Media-Kampagne vorlegte, ermittelt auch, ob Trump sich in der Absetzung des ehemaligen FBI-Chefs James Comey der Justizbehinderung schuldig gemacht hat, um somit die Russland-Ermittlungen zu vereiteln. Trump und Moskau bestreiten eine gemeinsame Absprache sowie eine Justizbehinderung.

US-Geheimdienste bestätigten bereits im Januar 2017 das Eingreifen Russlands in die US-Wahl 2016 durch Cyberangriffe und Propaganda, was den Wahlsieg von Trump begünstigt haben soll. Dahinter steht die von Moskau gesteuerte Hybrid-Taktik, bzw. die nicht-lineare Kriegsführung, auf die westliche Geheimdienste, die NATO sowie die EU immer wieder hinweisen. Neben der separaten strafrechtlichen Untersuchung von Sonderberater Mueller ermitteln zwei Kongressausschüsse in einer jeweils unabhängigen Untersuchung, ob Russland durch das Hacken und Veröffentlichen kompromittierender E-Mails des „Democratic National Commitee“ (DNC) die Kandidatur von Hillary Clinton zu diskreditieren suchte.

Anklage gegen russische Geheimdienstbeamte

Nur drei Tage vor dem Treffen von Trump und Putin verkündete der stellvertretende US-Justizminister Rod Rosenstein eine Anklageschrift gegen 12 russische Geheimdienstbeamte wegen dem Cyberangriff auf das Computernetzwerk des Wahlkampfkomitees der Demokraten und Hillary Clinton, um sich zugunsten von Trump in die Präsidentschaftswahl von 2016 einzumischen. Die USA fordern eine Auslieferung der angeklagten Geheimagenten von Russland. Laut der neuerlichen Anklage soll der russische Militärgeheimdienst GRU große Datenmengen vom Netzwerk erbeutet haben, um diese dann weiterzugeben und zu veröffentlichen. Das russische Außenministerium dementierte die Vorwürfe.

Der Anklageschrift zufolge sollen sich die russischen Hacker als „DCLEaks“ und „Guccifer 2.0“ ausgegeben haben und einen Kandidaten für den US-Kongress direkt unterstützt haben, indem sie diesem angeforderte und erbeutete DNC-Dokumente zukommen ließen, die auch ein Reporter erhalten haben soll.

Zudem soll es laut Anklageschrift zu einer umfangreichen Zusammenarbeit zwischen den russischen Hackern und der sog. „Organisation 1“ gekommen sein. Ob es sich bei dieser namentlich nicht genannten „Organisation 1“ um WikiLeaks handelt, wurde bislang nicht bestätigt. Jedoch entspricht das Datum des 22. Juli 2016, an dem nach Anklageschrift über 20.000 E-Mails und andere Dokumente aus dem DNC-Netzwerk gestohlen wurden, dem Zeitpunkt, an dem WikiLeaks begann, interne DNC-Dokumente zu veröffentlichen.

Nach Informationen, die sich auf vertrauliche Dokumente und die Aussagen ehemaliger US-Beamten stützen, soll ein von Wladimir Putin und Geheimdienstmitarbeitern kontrollierter „Think Tank“ einen Plan entwickelt haben, um den US-Wahlkampf zu beeinflussen, wie bereits im April 2017 durch die Nachrichtenagentur Reuters bekannt wurde.

Unterdessen veröffentlichte RFE/RL neue Rechercheergebnisse zu den wegen des DNC-Hacks angeklagten Personen und russischen Geheimdiensteinheiten und kommt zu einem höchst brisanten Schluss: Demnach soll die Militäreinheit, die für die Operation der Veröffentlichung und Weitergabe des DNC-Hacks verantwortlich sein soll, eine identische Adresse mit dem GRU-Offizier Oleg Ivannikov, bzw. „Orion“ aufweisen, den das unabhängige Recherchenetzwerk Bellingcat als einen der Hauptverantwortlichen für den Abschuss der MH17-Passagiermaschine über der Ostukraine identifizierte.

Hybride Angriffe nonstop

Neben dem Nervengift-Anschlag in Großbritannien auf den russischen Ex-Agenten Sergei Skripal und seine Tochter Yulia Skripal, für den der Westen Moskau verantwortlich sieht, was der Kreml weiterhin abstreitet, wurde unlängst eine russische Agentin in den USA überführt. Maria Butana soll sich laut US-Strafverfolgungsbehörde wegen der Verschwörung gegen die USA im Auftrag der russischen Regierung schuldig gemacht haben, indem sie die US-Politik und politische Gruppen wie eine Waffenrechts-Organisation zu infiltrieren versuchte. Butana plädierte vor dem US-Bundesgericht auf nicht schuldig.

Am Freitag sah sich das US-Justizministerium in der Pflicht, die Öffentlichkeit vor der russischen Einflussnahme zu warnen. Der stellvertretende US-Justizminister Rosenstein sagte:

“Die amerikanischen Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wenn ausländische Regierungen auf sie mit Propaganda abzielen.“

Nach der Pressekonferenz mit Putin musste Trump im Anschluss einiges dementieren, dass vom Treffen in Helsinki nur leere Worthülsen übrig scheinen.

„Hat Russland die Vereinigten Staaten noch immer im Visier?“, fragt ein Journalist im Weißen Haus. „Nein. Danke.“, antwortet Trump. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Sarah Sanders, klärte auch diesen Irrtum auf – Trump habe das „Nein“ bezogen auf weitere Fragen von Reportern gemeint. Sowohl US-Geheimdienstchef Dan Coats als auch FBI-Direktor Christopher Wray betonten, die Position der Geheimdienste sei noch immer dieselbe, dass Russland weiterhin versuche, die Demokratie der USA zu untergraben, was auch künftige Wahleinmischungen beträfe. Zu den bevorstehenden Midterm-Wahlen, also den Zwischenwahlen in den USA im November 2018, warnen die US-Geheimdienste schon länger vor einem russischen Eingreifen, um die Innenpolitik zu beeinflussen. Trump versicherte Coats im TV-Interview mit CBS News, er vertraue auf die Expertise von Coats, er mache einen sehr guten Job.

Hinter der zunehmenden mangelnden Transparenz und dem Versuch Moskaus, seinen politischen Einfluss in Europa und den USA zu erweitern, steht seine hybride Kriegsführung gegen den Westen, mit dem Ziel der Destabilisierung. Davor warnte die EU in Kooperation mit der NATO und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf dem G7-Gipfel in Kanada appellierten die Staats- und Regierungschefs an Moskau, westliche Demokratien nicht weiter zu unterminieren, und drohten mit weiteren Sanktionen. Daher stellt sich die NATO immer wieder dieser Herausforderung, so auch auf dem NATO-Gipfel in Brüssel.

Denn ein hybrider Angriff kann den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages und damit den Bündnisfall auslösen. Das hatte die NATO bereits auf dem Gipfeltreffen in Warschau 2016 vereinbart. Daher, und aufgrund der engen NATO-EU-Kooperation, ist das US-europäische Bündnis innerhalb der NATO keineswegs unerheblich. Die NATO implementiert Cyber-Sicherheit in ihre kollektive Verteidigung. So wird beispielsweise ein staatlich gelenkter Cyber-Angriff als ein Element hybrider Kriegstaktik und ein bewaffneter Angriff in der Geo-Politik verstanden. Umso mehr gefragt ist daher ein US-Präsident, der sich eindeutig zur NATO bekennt, was der Trumpschen Rhetorik nicht immer entspricht.

In den Hintergrund dabei gerät das Anliegen der NATO, ihre Fähigkeiten zum Schutz kritischer Infrastrukturen gegen hybride Angriffe auszuweiten.

Das transatlantische Bündnis beschuldigt Russland, die euro-atlantische Sicherheit und Stabilität durch hybride Maßnahmen zu untergraben:

„Russlands aggressives Vorgehen, einschließlich der Androhung und Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele, fordert das Bündnis heraus und untergräbt die euro-atlantische Sicherheit und die auf Regeln basierende internationale Ordnung.“

Den Vorschlag Putins, Ermittler der US-Justizbehörde sollten die 12 angeklagten Russen zur Wahleinmischung befragen, und im Gegenzug sollten russische Ermittler US-Diplomaten, denen sie „illegale Aktivitäten“ vorwerfen, befragen, lehnte Trump ab. Auf der Pressekonferenz nannte Trump die Idee noch ein „unglaubliches Angebot.“ Von einer potentiellen Befragung durch russische Behörden betroffen wäre auch der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul. Das US-Außenministerium nannte den Vorschlag „absurd“. Der US-Senat stimmte in einer Resolution mit überwältigender Mehrheit gegen den Vorschlag. Bestimmt äußerte sich auch US-Außenminister Mike Pompeo, der sagte, die USA würden Amerikaner nicht unter Zwang nach Russland schicken, um dort von Putin und seinem Team verhört zu werden.

Derartige Zugeständnisse an Moskau wären eine starke Abkehr vom Kurs, den der Westen derzeit gegen Moskau auffährt. Zwar setzt die NATO auf einen Dialog mit Russland, gleichzeitig aber auch auf geschlossene Stärke und Verteidigung. Zudem wurden Russland seit März 2014 aufgrund des angekündigten Referendums auf der Krim Sanktionen durch die EU, die Vereinigten Staaten und andere Staaten auferlegt.

Noch während des Treffens mit Trump sagte Putin, die USA und Russland ständen nicht im Kalten Krieg:

„Der Kalte Krieg ist längst vorbei. Die Ära einer ideologischen Feindschaft zwischen den Ländern liegt in der Vergangenheit.“

Im Anschluss hingegen kommentierte Putin das Treffen zwar als möglichen Weg für einen positiven Wandel der Beziehungen zwischen den USA und Russland, jedoch sei es in mancher Hinsicht schlimmer als während des Kalten Krieges, da ungenannte Kräfte in den USA dem entgegenstünden und Parteiinteressen über das nationale Interesse stellten. Eine ähnliche, nur umgekehrte Ansicht vertreten auch NATO-Beobachter, die im Verhalten Moskaus den Versuch sehen, die NATO zu destabilisieren, wenn nicht zerstören zu wollen.

Putin – Zurück auf der Weltbühne

Putin ist seinem Anspruch, nach dem Zerfall der Sowjetunion als wiedererstarkte Großmacht auf der Weltbühne in Erscheinung zu treten, sehr nahe gekommen.

Als wolle Trump ihm diese neue Augenhöhe versichern, sagte er auf der Pressekonferenz  auf Nachfrage zu seiner kürzlichen Nord Stream 2-Kritik:

„Eigentlich nannte ich ihn einen Konkurrenten, und er ist ein guter Wettbewerber, und ich denke das Wort Konkurrent ist ein Kompliment.“

Weniger aufpoliert erscheint nach dem Trump-Putin-Treffen die liberal-demokratische Ordnung des Westens, die schmerzlich an Glanz einbüßt.

Die freie Welt, als dessen Anführer sich die USA laut US-Vizepräsident Mike Pence sieht, fühlt sich verraten.

Die Hybrid-Taktiken Moskaus und der ewige Zickzack-Kurs Trumps schaffen eine neue Welt, in der die Wahrheit relativ ist oder zu „fake news“ degradiert wird.

Trump und Putin scheinen in einigen wesentlichen Ansichten, die den Werten einer gesunden Demokratie entgegenstehen, nahezu übereinzustimmen. Die nicht-lineare Destabilisierungs-Taktik gleicht dem nicht-linearen Regierungsstil Trumps.

Journalisten bezeichnete Trump jüngst als „Volksfeinde“, einem sowjetischen Begriff aus der Stalin-Ära.

In Russland werden Journalisten neuerdings mit der staatlichen Auszeichnung als „ehrenwerter Journalist“ gewürdigt, sofern sie nicht zu subjektiv berichten. Eine Auszeichnung, die der ermordeten Investigativ-Journalistin Anna Politkowskaja und den vielen anderen Mordopfern unter den Russlandkritischen Journalisten nicht zuteilwurde. Meinungs- und Pressefreiheit – Fehlanzeige. Russische NGOs drohen, als „Auslandsagenten“ gebrandmarkt zu werden. Bezogen auf den US-Handel, nannte Trump die EU kürzlich einen „Feind“, während Putin die EU auf nicht-linearem, also hybridem Weg, vor allem politisch destabilisieren will.

Das neue NATO-Mitglied, Montenegro, wird vom Kreml schon lange voller Ablehnung, begleitet und von Desinformationskampagnen beäugt, da Moskau prinzipiell gegen jede NATO-Erweiterung ist und nicht akzeptieren will, dass das Militärbündnis eine demokratische Politik der offenen Türe inne hat. Jetzt kritisierte auch Trump in einem Interview mit Fox News die Montenegriner als „aggressive“ Menschen, die gefährlich für das Bündnis seien, da sie fähig seien, den Dritten Weltkrieg auszulösen. Unvergessen ist, wie Trump Staatspräsident Milo Djukanovic auf dem NATO-Gipfel 2017 vor laufender Kamera schubste. Der Balkan-Staat entgegnete mit Blick auf seine Geschichte, es sei die erste Nation Europas gewesen, die sich dem Faschismus widersetzte und sich heute an der Seite der USA weltweit für Frieden und Stabilität einsetze. Eine Studie des Foreign Policy Research Institute (FPRI) dokumentiert den abgewendeten Putschversuch, den die Regierung von Djukanovic im Jahr 2016 durchlebte, und hinter dem die russischen Geheimdienste GRU und FSB stehen sollen. Die Sonderstaatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität wirft den Agenten die Absicht vor, sie haben landesweite Proteste mittels politischer Gewalt auszulösen versucht, um die Regierung zu stürzen.

Wenn Trump die Russland-Ermittlungen als „Hexenjagd“ bezeichnet, ist dies Wasser auf die Mühlen Putins, der die Wahleinmischung ohnehin abstreitet.

In punkto Georgien und Ukraine warnte Putin die NATO vor engeren Beziehungen zu beiden Ländern und stellte klar,

eine solche Politik sei unverantwortlich und hätte nicht näher definierte Konsequenzen für das Bündnis. Man werde angemessen auf solche aggressiven Schritte reagieren, die eine direkte Bedrohung für Russland darstellten, drohte Putin, der angab, die Thematik mit Trump in Helsinki besprochen zu haben. Ob dies der Inhalt des geheimnisvollen Vieraugengespräches von Trump und Putin war, bleibt fraglich.

Georgien und die Ukraine bemühen sich längst um einen NATO-Beitritt, vor allem aus Angst vor einer territorialen Besetzung durch Russland. Die Ost-Ukraine befindet sich nach der Annexion der Krim weiterhin in einem heißen Krieg, da es von russischen Separatisten besetzt wird.

Auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz fragte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, dem es um die Verteidigung und Souveränität der Ukraine geht, ob es in Zukunft eine russische Welt von alternativen Werten, oder eine freie Welt mit allgemeingültigen Werten geben werde. Dabei appellierte er, dem Kampf gegen die wachsende hybride Bedrohung durch Russland gemeinsam entgegenzustehen und zu beweisen, dass Erpressung und Aggression Europa nicht zerstören könne.

Eben wegen der Annexion der Krim, der zunehmenden russischen Präsenz und die in Moldawien und zwei abtrünnigen Regionen Georgiens stationierten russischen Streitkräfte, setzt die NATO auf die größte Verstärkung ihrer kollektiven Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges.

„Als die größten Atommächte haben wir eine besondere Verantwortung für die internationale Sicherheit.“ – Wladimir Putin auf der Pressekonferenz in Helsinki.

Wohin es mit Russland gehen soll, demonstrierte das russische Staatsfernsehen nur wenige Tage nach dem Gespräch von Trump mit Putin zur Vermeidung eines Wettrüstens – das russische Verteidigungsministerium ließ eine neue Hyperschallrakete seines konventionellen Waffen- und Nuklear-Programms über die Bildschirme sausen und kündigte neue Flugtests für atomgetriebene Marschflugkörper an.

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AFP/AP/Reuters/RFE/RL