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Verfassungsreform in Russland – Freund oder Feind?

Von Michelle Eickmeier

Der jüngste Machtwechsel innerhalb des Kremls ist derzeit das Topthema in Russland, was auch die Trends in den sozialen Medien anzeigen. Der Rücktritt der gesamten russischen Regierung unter Premierminister Dmitri Medwedew, und damit des zweitmächtigsten Mannes im Staat, kam nur wenige Stunden nach der Ankündigung einer Verfassungsänderung durch Präsident Wladimir Putin während seiner alljährlichen Ansprache zur Lage der Nation, die eine Stärkung der Befugnisse von Parlament und Kabinett vorsieht. Somit würde der Staatsduma das Recht eingeräumt, der vom Präsidenten für das Amt des Premierministers vorgeschlagenen Kandidatur zuzustimmen. Analysten sehen in diesem Schritt eine beabsichtigte Machtabsicherung Putins, dessen Amtszeit 2024 enden wird. Medwedew, der nach nur einer Amtszeit als Präsident im Jahre 2012 seinem langjährigen Verbündeten Putin die Wiedererlangung des Präsidentenamtes ermöglichte und daher unter Beobachtern als „Platzhalter“ gilt, war seit 2012 Russlands Premierminister.

Was käme auf Europa und Russland zu, wenn Putin auch nach dem Ende seiner derzeitigen Amtszeit als Präsident im Jahr 2024 weiterhin an der Spitze innerhalb des Kremls regieren wird?

Die neue russische Regierung wurde bereits gebildet. Auch ein in erster Lesung von Präsident Wladimir Putin der Staastduma vorgelegtes umfassendes Gesetz zur Verfassungsreform hat das Parlament bereits einstimmig gebilligt. Die zweite Lesung ist für den 11. Februar vorgesehen. Im russischen Staatsfernsehen hatte der damalige Ministerpräsident Dmitri Medwedew den Rücktritt der russischen Regierung erklärt. Putin dankte Medvedev für seinen Dienst, sagte jedoch, das Kabinett des Premierministers habe nicht alle seine Ziele erreicht. Medwedew sagte, der Präsident solle für die von ihm vorgeschlagene Verfassungsreform, die gravierende Änderungen in der „Balance zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative“ vorsähen, die Möglichkeit haben, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.“ Dmitri Medwedew hat bereits seine neue Position als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats eingenommen. Michail Mischustin, bislang Chef der Steuerbehörde, ist zum neuen Ministerpräsidenten ernannt worden.

Gewaltenteilung aus der Balance

Kritiker bemängeln die Schnelligkeit und den Mangel an Demokratie dieses Prozesses, der die Gewaltenteilung störe. Eine Institution über den Präsidenten zu stellen, würde „nichts anderes als eine Diarchie bedeuten – eine absolut ruinöse Situation für ein Land wie Russland“, positioniert sich Putin.

Der tiefgreifende Charakter der Änderungen wirke sich so stark auf die Bedeutung der grundlegenden Bestimmungen der Verfassung aus, dass jedes andere Verfahren zur Annahme von Änderungsanträgen Zweifel an der Legitimität solcher umfassenden Änderungen hervorrufe, gibt das EU-Russland-Forum für Zivilgesellschaft (EU-Russia Civil Society Forum) zu Bedenken. Weiter heißt es:

„Diese Änderungen würden nicht nur die Befugnisse des Präsidenten stärken, die Unabhängigkeit der Justiz schwächen, die Regierungsführung auf Kosten der Regionen zentralisieren und die Autonomie der lokalen Selbstverwaltung aufheben, sondern auch den Staatsrat […].“

Es befürchtet eine Beeinträchtigung der Einhaltung internationaler Verpflichtungen durch die Russische Föderation. Der Vorstand des Forums der Zivilgesellschaft EU-Russland fordert eine genaue Beobachtung der Einhaltung dieser Verpflichtungen durch den Europarat, insbesondere dem für Menschenrechte zuständigen Kommissionsmitglied, dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung.

Medwedew: „Es war manchmal sehr schwierig“

Einen Tag nach seinem Rücktritt als russischer Premier bedankte sich Medwedew bei allen Regierungsmitgliedern für die „großartige Arbeit“ und erklärte über einen verlinkten Tweet:

„[…] Es war manchmal sehr schwierig. Aber wir haben Lösungen gefunden, die unserem Land geholfen haben, voranzukommen und sich zu entwickeln. […] Die ganze Zeit arbeitete die Regierung als ein Team – ein Team von Gleichgesinnten, auf die ich mich verlassen und denen ich vertraute. Auch die neuen Großaufgaben, die der russische Präsident in seiner Ansprache gestellt hat, erfordern neue Ansätze. Ich bin sicher, dass die Regierung, die in naher Zukunft ernannt wird, damit fertig wird. Ich wünsche ihm viel Erfolg bei seiner Arbeit und der Umsetzung aller seiner Pläne.“

Medwedew nannte den Zeitfaktor als weiteren Beweggrund für den Regierungsrücktritt. In einem Interview mit Channel One erklärte Medwedew, er sei zu dem Schluss gekommen, dass in den Regierungen der Sowjet- und Zarenzeit und der jüngeren Geschichte Russlands niemand mehr als acht Jahre lang die Regierung geleitet habe. Weiterhin betonte er die „komplizierte Arbeit, Entscheidungen in äußerst schwierigen Fragen zu treffen“ und lobte die Arbeit seines Kabinetts unter den Sanktionen, die Russland seit 2014 aufgrund des angekündigten Referendums auf der Krim durch die EU, die Vereinigten Staaten und andere Staaten auferlegt wurden.

Medwedew sprach von „einer Reihe von schmerzhaften Entscheidungen und ungelösten Problemen“, sei aber „im Allgemeinen mit dem Stand der Dinge und der Funktionsweise der höchsten Exekutivbehörde zufrieden“.

Wer zwischen den Zeilen liest, erkennt zwar das unmissverständliche D’accord mit seinem langjährigen Amtskollegen Putin, doch auch die Sorge um die Professionalität der neuen Regierungsanwärter, die von heute auf morgen eine erfahrene Regierungstruppe ersetzen sollen. Auch wenn der Regierungswechsel nicht überraschend für Medwedew gekommen sein mag, setzt er ein Fragezeichen hinter diesen Prozess, auf den er nur bedingt, wenn gar keinen Einfluss hat.

Putin hatte die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Bewertung seiner vorgeschlagenen Verfassungsreform angeordnet. Hierzu zählen kremlfreundliche Gesetzgeber sowie unter anderem der Pianist Denis Matsuev und die ehemalige olympische Stabhochspringerin Yelena Isinbayeva.

Der Vorsitzende der Partei „Einiges Russland“, Dmitry Medvedev, schlug auf einer Sitzung des Präsidiums des Hohen Rates vor, die Verantwortung für die Arbeit der lokalen Exekutive zu stärken. Er ist überzeugt, dass dafür mit ihren Vertretern in der Legislative und in der Exekutive alle notwendigen Werkzeuge vorhanden sind.

Medwedew erklärte, die Unterstützung der neuen Regierung bedeute parteipolitische Verantwortung, nicht nur für Parteimitglieder, sondern für alle Bürger des Landes. Gleichzeitig solle das „Einige Russland“ die Arbeit der Regierung objektiv bewerten und sich in Bezug auf die Ausführungsqualität sowie der Umsetzung mit der Regierung abstimmen, wobei die Partei die Exekutive nicht ersetzen dürfe, so der Parteivorsitzende.

Bereits zuvor, wenige Tage nach der angekündigten Verfassungsreform, erklärte Medwedew in einem Interview mit dem Programm Vremya, dass die wichtigsten Aufgaben der Partei mit der Verbesserung des Wohlergehens der Menschen zusammenhängen werden. Die Partei habe eine große Verantwortung für die Entwicklung des Landes und gegenüber den russischen Bürgern, betonte er, der die Lösung auch in der Realisierung nationaler Projekte sieht. Auf Führungsebene bemühe man sich sehr, bei der Umsetzung dieser Aufgaben zu helfen, so Medvedev.

In diesem Vorhaben trifft Medwedew auf einen wunden Punkt: Viele Bürger sind von Armut und der jüngsten Anhebung des Rentenalters betroffen, das Land erlebte immer wieder große Protestaktionen. Immer wieder kommt es zu Festnahmen der russischen Oppositionsfigur Aleksei Navalny, der sich am Präsidentschaftswahlkampf 2018 beteiligte, und anderen Oppositionellen, was international als demokratiefeindlich kritisiert wird. Bei Protesten gegen die Rentenreform 2018 in Moskau, wurden mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen. Der offizielle Vorwurf lautetnicht genehmigte Kundgebungen organisiert zu haben und damit wiederholt gegen die bestehenden Vorschriften der Durchführung öffentlicher Veranstaltungen verstoßen zu haben.

Auch hinsichtlich Medwedew selbst zeigt sich die Nation gespalten, sehen doch viele in ihm einen „Platzhalter“, gar eine „Marionette“ Putins, was Medwedew bestreitet. Bereits 2011 anlässlich seines Verzichts einer weiteren Amtszeit als Präsident der Russischen Föderation sagte Medwedew in einem Interview mit dem Nachrichtensender RT:

„Mein größtes Ziel ist es, für mein Land und meine Leute nützlich zu sein. Wenn Sie diesen Ehrgeiz nicht haben, sollten Sie nicht in die Politik einsteigen.“

Er betonte die politische Einheit mit seinem Verbündeten Putin, und sagte, sie gehörten beide derselben politischen Kraft an, ihre Sichtweisen seien sehr ähnlich vor allem im Bereich strategischer Fragen, und wie sich das Land weiterentwickeln solle. Daher sei eine Rivalität überflüssig.

Eines scheint klar, was Putin will, bekommt Putin auch – umso mehr durch die Absicherung seiner Machtposition mittels einer Verfassungsreform.

Was bringt Putin Europa und der Welt?

Was die nächsten Jahre mit Putin an der Spitze der Regierung für Europa und die Welt bedeuten werden, sind die großen außen- und sicherheitspolitischen Fragen.

Nuklearabkommen INF vs. New-START

Nachdem die USA das wichtige Nuklearabkommen, den INF-Vertrag mit Russland einseitig aufgelöst hatten, bietet Putin neue Verhandlungen zum Rüstungskontrollvertrag New-START (Strategic Arms Reduction Treaty) an.  Putin äußerte sich besorgt über die Zukunft des New-START-Abkommens und kritisierte das mangelnde Interesse der USA. Es ist ein Zeichen der Kooperation, auf das die USA bisher nicht eingegangen sind. 

Im Raum steht die Angst vor einem neuen Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und Russland in Europa sowie auf asiatisch-pazifischem Terrain, vor dem Beobachter warnen. Im Hintergrund steht der Vorwurf der Entwicklung und des Einsatzes des russischen Raketensystems 9M729, der laut NATO gegen den INF-Vertrag verstoße. Diese Raketen seien besonders gefährlich, weil sie schwer zu lokalisieren, mobil und nuklearfähig seien und zudem die Warnzeit verkürzen. Putin bestreitet einen INF-Verstoß. – USA, it’s your turn!

Krisenherd Ukraine

Der im April 2020 sechs Jahre andauernde Krieg in der Ostukraine hat nach Zahlen der Uno-Menschenrechtsbeobachtermission (OHCHR) bereits 12.447 Todesopfer gefordert, darunter 3.320 Zivilisten. Während die Souveränität der durch Russland annektierten Krim international weiterhin als primär ukrainisches Staatsgebiet angesehen wird, machte Putin unmissverständlich klar, in diesem Punkt zu keinem Kompromiss bereit zu sein. Die Krim bleibt voraussichtlich bis 2024 in russischer Hand, wobei eine Rückgängigmachung nach diesem Zeitpunkt als noch unwahrscheinlicher gelten mag. Fälle wie die Konfrontation Russlands mit der Ukraine im Schwarzen Meer, in der Straße von Kertsch von 2018, demonstrieren die schweren Spannungen zwischen Kiew und Moskau. Eine Verschärfung der Situation im besetzten Teil der Ostukraine ist ohne den vollständigen Abzug der prorussischen Separatisten weiterhin hoch, wenngleich Gespräche im „Normandie-Format“ in Berlin und Paris auf eine friedliche Lösung drängen. Russia, it’s your turn!

Syrienkrieg

Der Schandfleck der Welt bleibt weiterhin Syrien, dessen Zivilbevölkerung von einem Bombenmeer und tödlichen Giftgasangriffen ausgezehrt ist. Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind über 380.000 Menschen getötet worden, darunter seien 115.000 Zivilisten, davon rund 22.000 Kinder. Russland verhinderte mehrfach eine UN-Resolution im Weltsicherheitsrat zur Untersuchung von Verbrechen in Syrien durch den Internationalen Strafgerichtshof. Menschenrechtsbeobachter sehen in diesem Vorgehen ein Blockieren im Aufklärungsprozess sowie eine Unterstützung der Gräueltaten Baschar al-Assads, und beschuldigen Russland an vorderster Front an der Tötung von Zivilisten beteiligt gewesen zu sein, indem es Krankenhäuser gezielt angegriffen habe. Wird Putin den Diktator Assad weiterhin unterstützen? – Russia, it’s your turn!

Hybride Bedrohung

Sowohl die NATO als auch die EU haben sie als Bedrohung eingestuft: Die Hybrid-Taktiken Moskaus zehren seit der Annexion der Krim an der Oberfläche des transatlantischen Bündnisses. EU und NATO sind bereits 2016 eine enge  Kooperation im Kampf gegen hybride Bedrohungen eingegangen. Die NATO hatte bereits auf dem  Gipfeltreffen in Warschau 2016 vereinbart, ein hybrider Angriff könne den Artikel 5 des Nordatlantikvertrags und damit den Bündnisfall auslösen. Seitdem erkennt die NATO die Bekämpfung hybrider Kriegsführung als Teil ihrer kollektiven Verteidigung an. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren, scheint sich diese aggressive Lage derzeit ein wenig beruhigt zu haben. Im Interview mit euronews von 2018 sagte Medwedew als damaliger Ministerpräsident, notfalls asymmetrisch auf Wirtschaftssanktionen und Handelskriege reagieren zu wollen:

„In der heutigen Welt gibt es verschiedene Formen der Reaktion, einschließlich, wie gesagt, asymmetrischer Reaktionen. Dies ist nicht unbedingt militärischer Natur. Es ist nicht erforderlich, mit angemessenen wirtschaftlichen Mitteln auf wirtschaftliche Bedrohungen oder wirtschaftliche Erpressungen zu reagieren.“

Gerade Hybrid-Szenarien sind kaum kalkulierbar. Die künftige Aktivität der asymmetrischen Kriegsführung wird stark vom Vorgehen der Bündnispartner abhängen und damit eine bedeutende Rolle für Europa spielen. Eine weitere Spaltung der Europäischen Union (EU) nach Art des Brexits darf Europa nicht erleiden, da sie eine Schwächung bedeuten. Moskau bestreitet das Ansinnen, die EU schwächen zu wollen, doch genau in diesem Punkt hatte die EU die rote Karte gezeigt, was sie weiterhin wachsam verfolgen sollte. Russland wird die EU als starken Partner wahrnehmen, was die größte Friedensprävention sein kann. Auch andere Staaten sinnen nach einer Schwächung der EU, weshalb sie ihre Souveränität im politischen Diskurs behaupten muss, weniger im militärischen Bereich. Eine erzielte Schwächung der EU rückt die alte russische Kritik an der NATO-Osterweiterung hierbei in den Hintergrund. – EU, it’s your turn!

Nord Stream 2-Diskurs

Als einen der wenigen gemeinsamen Nenner in den schwierigen Deutschland-Russland-Beziehungen könnte das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gesehen werden. Gleichzeitig bietet es international die höchste Angriffsfläche. Die USA kritisieren den Bau scharf. So mahnte US-Vizepräsident Mike Pence auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz in Anspielung auf Deutschland, die USA könne die Sicherheit seiner Verbündeten im Westen nicht garantieren, solange sie vom Osten abhängig seien. Gleichzeitig bekannte er offen, die USA wollten zum weltweit größten Öl- und Gasproduzenten werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel konterte, die Abhängigkeit Europas von russischem Gas hänge nicht davon ab, ob die Gas-Pipeline gebaut werde oder nicht. Das Projekt ist kaum als Hybrid-Taktik Moskaus zu verstehen, zu alt ist sein Gedanke mit Nord Stream 1, zu wichtig ist die Fertigstellung für beide, sowohl Deutschland als auch Russland. Mit Russland Geschäfte zu machen und den USA hiermit ein gesundes Selbstbewusstsein zu demonstrieren ist wichtig und richtig für Deutschland. Dabei darf Deutschland nicht seine Glaubwürdigkeit einbüßen – gleichzeitig muss in Sachen Ukraine beschwichtigt werden und eine neue Politik auf Augenhöhe her. Ein erster Schritt in diese Richtung und ein eindeutiges Signal wären die schrittweise Aufhebung der Sanktionen. – Germany, it’s your turn!

AP/Reuters/RFE/RL/RT/РБК

 

Leonid Wolkow: Der vermisste Dissident

Von Michelle Eickmeier

Standing Ovations für Leonid Wolkow auf dem Global Media Forum der Deutschen Welle (DW). Der russische Oppositionspolitiker wurde als Panelgast erwartet, jedoch Tage zuvor in Moskau inhaftiert. Stattdessen schickte er eine Videobotschaft aus dem Gerichtssaal. Der in Deutschland lebende Exil-Journalist Can Dündar sprach in der Panelrunde darüber, was es bedeutet, den Preis für Meinungs- und Pressefreiheit in einem autokratischen Staat zu zahlen: „Ich komme aus dem weltweit größten Gefängnis für Journalisten.“

„Bitte kämpft weiter für die Pressefreiheit und die Freiheit der politischen Meinungsäußerung.“ Diese eindringliche Botschaft sendete der russische Oppositionspolitiker Leonid Wolkow per Video aus einem Moskauer Gerichtssaal an die Paneldiskussionsrunde auf dem DW Global Media Forum. Eingeladen war er, doch wurde der enge Vertraute und Projektmanager der Anti-Korruptions-Stiftung der russischen Oppositionsfigur Aleksei Navalny wenige Tage zuvor in Moskau inhaftiert.

Man habe ihm seltsame Fragen gestellt, nachdem die Polizei ihn im Taxi in Moskau anhielt, twitterte Wolkow.

Der offizielle Vorwurf lautetnicht genehmigte Kundgebungen organisiert zu haben und damit wiederholt gegen die bestehenden Vorschriften der Durchführung öffentlicher Veranstaltungen verstoßen zu haben.

Hintergrund sind die Proteste gegen die Rentenreform im September 2018 in Moskau, die Wolkow mitorganisiert hatte und die sich gegen die Anhebung des Rentenalters richteten. Mehr als 1.000 Demonstranten nahm die russische Polizei dabei fest. Wolkow führte auch Navalnys Präsidentschaftswahlkampf im März 2018 an.

Scharfe Kritik an Festnahme

Mehrere EuropapolitikerInnen kritisierten die Festnahme Wolkows scharf.

Die neue freie Welt – Nach dem Trump-Putin-Treffen

Von Michelle Eickmeier

Nach dem halben Eklat aufgrund der Angriffe im Zick-Zack-Kurs von US-Präsident Donald Trump gegen NATO-Verbündete, allen voran Deutschland, auf dem NATO-Gipfel, fiel dann auch der Vorhang auf der viel beachteten Pressekonferenz von Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin in Helsinki. Von den eigentlichen Herausforderungen der NATO scheint Trump nicht viel mitbekommen zu haben. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, die Bühnen-Posse im nicht-linearen Wettringen steht nicht schlecht für den Kreml-Chef.

Dass Putin die russische Einmischung in die US-Wahl auf der Pressekonferenz mit Trump in Helsinki abstreitet, war abzusehen. Wie ein Messer im Rücken der US-Geheimdienste und überhaupt des Westens wirkte dahingegen die Aussage Trumps, er sähe keinen Grund, warum Russland sich in die US-Wahl eingemischt haben sollte, die er nach hagelnder Kritik revidierte:

„Ich sagte das Wort „würde“ anstatt ‘würde nicht’. Der Satz sollte heißen, ‘Ich sehe keinen Grund, warum es nicht Russland sein würde.“’

Trump halte Putin persönlich für Wahleinmischungen verantwortlich, sagte er zwei Tage nach dem Treffen mit Putin.
Die später dementierte öffentliche Rückendeckung für Putin zeigt nicht nur, dass Trump die hybride Bedrohung durch Moskau noch immer nicht ernst nimmt – Trump stellt eigene Interessen über die Sicherheitsinteressen seines Landes. Welcher Präsident lässt sich schon gerne nachsagen, dass er nur mit Hilfe der illegalen Wahleinmischung einer feindlichen Nation ins Amt gewählt wurde. Zu gerne lenkt Trump von der Russland-Affäre ab, in der er und sein Wahlkampfteam bis zum Halse stecken, und die er bis heute als „Hexenjagd“ diskreditiert.

Der Ex-CIA-Chef John Brennan kritisierte Trump scharf – Trumps Auftritt in Helsinki sei nichts weniger als Verrat gewesen, twitterte Brennan.

US-Sonderermittler Robert Mueller untersucht, ob es eine Absprache und kriminelle Verbindungen zwischen Trump, seinen Mitarbeitern und russischen Geheimdiensten während seiner Wahlkampagne 2016 gegeben hat. Trump sagte neuerlich, die Untersuchung schade den Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Russland. Mueller, der bereits eine Anklageschrift gegen 13 Russen und drei russische Firmen aufgrund der Einmischung in die Wahl mit einer breit angelegten Social-Media-Kampagne vorlegte, ermittelt auch, ob Trump sich in der Absetzung des ehemaligen FBI-Chefs James Comey der Justizbehinderung schuldig gemacht hat, um somit die Russland-Ermittlungen zu vereiteln. Trump und Moskau bestreiten eine gemeinsame Absprache sowie eine Justizbehinderung.

US-Geheimdienste bestätigten bereits im Januar 2017 das Eingreifen Russlands in die US-Wahl 2016 durch Cyberangriffe und Propaganda, was den Wahlsieg von Trump begünstigt haben soll. Dahinter steht die von Moskau gesteuerte Hybrid-Taktik, bzw. die nicht-lineare Kriegsführung, auf die westliche Geheimdienste, die NATO sowie die EU immer wieder hinweisen. Neben der separaten strafrechtlichen Untersuchung von Sonderberater Mueller ermitteln zwei Kongressausschüsse in einer jeweils unabhängigen Untersuchung, ob Russland durch das Hacken und Veröffentlichen kompromittierender E-Mails des „Democratic National Commitee“ (DNC) die Kandidatur von Hillary Clinton zu diskreditieren suchte.

Anklage gegen russische Geheimdienstbeamte

Nur drei Tage vor dem Treffen von Trump und Putin verkündete der stellvertretende US-Justizminister Rod Rosenstein eine Anklageschrift gegen 12 russische Geheimdienstbeamte wegen dem Cyberangriff auf das Computernetzwerk des Wahlkampfkomitees der Demokraten und Hillary Clinton, um sich zugunsten von Trump in die Präsidentschaftswahl von 2016 einzumischen. Die USA fordern eine Auslieferung der angeklagten Geheimagenten von Russland. Laut der neuerlichen Anklage soll der russische Militärgeheimdienst GRU große Datenmengen vom Netzwerk erbeutet haben, um diese dann weiterzugeben und zu veröffentlichen. Das russische Außenministerium dementierte die Vorwürfe.

Der Anklageschrift zufolge sollen sich die russischen Hacker als „DCLEaks“ und „Guccifer 2.0“ ausgegeben haben und einen Kandidaten für den US-Kongress direkt unterstützt haben, indem sie diesem angeforderte und erbeutete DNC-Dokumente zukommen ließen, die auch ein Reporter erhalten haben soll.

Zudem soll es laut Anklageschrift zu einer umfangreichen Zusammenarbeit zwischen den russischen Hackern und der sog. „Organisation 1“ gekommen sein. Ob es sich bei dieser namentlich nicht genannten „Organisation 1“ um WikiLeaks handelt, wurde bislang nicht bestätigt. Jedoch entspricht das Datum des 22. Juli 2016, an dem nach Anklageschrift über 20.000 E-Mails und andere Dokumente aus dem DNC-Netzwerk gestohlen wurden, dem Zeitpunkt, an dem WikiLeaks begann, interne DNC-Dokumente zu veröffentlichen.

Nach Informationen, die sich auf vertrauliche Dokumente und die Aussagen ehemaliger US-Beamten stützen, soll ein von Wladimir Putin und Geheimdienstmitarbeitern kontrollierter „Think Tank“ einen Plan entwickelt haben, um den US-Wahlkampf zu beeinflussen, wie bereits im April 2017 durch die Nachrichtenagentur Reuters bekannt wurde.

Unterdessen veröffentlichte RFE/RL neue Rechercheergebnisse zu den wegen des DNC-Hacks angeklagten Personen und russischen Geheimdiensteinheiten und kommt zu einem höchst brisanten Schluss: Demnach soll die Militäreinheit, die für die Operation der Veröffentlichung und Weitergabe des DNC-Hacks verantwortlich sein soll, eine identische Adresse mit dem GRU-Offizier Oleg Ivannikov, bzw. „Orion“ aufweisen, den das unabhängige Recherchenetzwerk Bellingcat als einen der Hauptverantwortlichen für den Abschuss der MH17-Passagiermaschine über der Ostukraine identifizierte.

Hybride Angriffe nonstop

Neben dem Nervengift-Anschlag in Großbritannien auf den russischen Ex-Agenten Sergei Skripal und seine Tochter Yulia Skripal, für den der Westen Moskau verantwortlich sieht, was der Kreml weiterhin abstreitet, wurde unlängst eine russische Agentin in den USA überführt. Maria Butana soll sich laut US-Strafverfolgungsbehörde wegen der Verschwörung gegen die USA im Auftrag der russischen Regierung schuldig gemacht haben, indem sie die US-Politik und politische Gruppen wie eine Waffenrechts-Organisation zu infiltrieren versuchte. Butana plädierte vor dem US-Bundesgericht auf nicht schuldig.

Am Freitag sah sich das US-Justizministerium in der Pflicht, die Öffentlichkeit vor der russischen Einflussnahme zu warnen. Der stellvertretende US-Justizminister Rosenstein sagte:

“Die amerikanischen Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wenn ausländische Regierungen auf sie mit Propaganda abzielen.“

Nach der Pressekonferenz mit Putin musste Trump im Anschluss einiges dementieren, dass vom Treffen in Helsinki nur leere Worthülsen übrig scheinen.

„Hat Russland die Vereinigten Staaten noch immer im Visier?“, fragt ein Journalist im Weißen Haus. „Nein. Danke.“, antwortet Trump. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Sarah Sanders, klärte auch diesen Irrtum auf – Trump habe das „Nein“ bezogen auf weitere Fragen von Reportern gemeint. Sowohl US-Geheimdienstchef Dan Coats als auch FBI-Direktor Christopher Wray betonten, die Position der Geheimdienste sei noch immer dieselbe, dass Russland weiterhin versuche, die Demokratie der USA zu untergraben, was auch künftige Wahleinmischungen beträfe. Zu den bevorstehenden Midterm-Wahlen, also den Zwischenwahlen in den USA im November 2018, warnen die US-Geheimdienste schon länger vor einem russischen Eingreifen, um die Innenpolitik zu beeinflussen. Trump versicherte Coats im TV-Interview mit CBS News, er vertraue auf die Expertise von Coats, er mache einen sehr guten Job.

Hinter der zunehmenden mangelnden Transparenz und dem Versuch Moskaus, seinen politischen Einfluss in Europa und den USA zu erweitern, steht seine hybride Kriegsführung gegen den Westen, mit dem Ziel der Destabilisierung. Davor warnte die EU in Kooperation mit der NATO und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf dem G7-Gipfel in Kanada appellierten die Staats- und Regierungschefs an Moskau, westliche Demokratien nicht weiter zu unterminieren, und drohten mit weiteren Sanktionen. Daher stellt sich die NATO immer wieder dieser Herausforderung, so auch auf dem NATO-Gipfel in Brüssel.

Denn ein hybrider Angriff kann den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages und damit den Bündnisfall auslösen. Das hatte die NATO bereits auf dem Gipfeltreffen in Warschau 2016 vereinbart. Daher, und aufgrund der engen NATO-EU-Kooperation, ist das US-europäische Bündnis innerhalb der NATO keineswegs unerheblich. Die NATO implementiert Cyber-Sicherheit in ihre kollektive Verteidigung. So wird beispielsweise ein staatlich gelenkter Cyber-Angriff als ein Element hybrider Kriegstaktik und ein bewaffneter Angriff in der Geo-Politik verstanden. Umso mehr gefragt ist daher ein US-Präsident, der sich eindeutig zur NATO bekennt, was der Trumpschen Rhetorik nicht immer entspricht.

In den Hintergrund dabei gerät das Anliegen der NATO, ihre Fähigkeiten zum Schutz kritischer Infrastrukturen gegen hybride Angriffe auszuweiten.

Das transatlantische Bündnis beschuldigt Russland, die euro-atlantische Sicherheit und Stabilität durch hybride Maßnahmen zu untergraben:

„Russlands aggressives Vorgehen, einschließlich der Androhung und Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele, fordert das Bündnis heraus und untergräbt die euro-atlantische Sicherheit und die auf Regeln basierende internationale Ordnung.“

Den Vorschlag Putins, Ermittler der US-Justizbehörde sollten die 12 angeklagten Russen zur Wahleinmischung befragen, und im Gegenzug sollten russische Ermittler US-Diplomaten, denen sie „illegale Aktivitäten“ vorwerfen, befragen, lehnte Trump ab. Auf der Pressekonferenz nannte Trump die Idee noch ein „unglaubliches Angebot.“ Von einer potentiellen Befragung durch russische Behörden betroffen wäre auch der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul. Das US-Außenministerium nannte den Vorschlag „absurd“. Der US-Senat stimmte in einer Resolution mit überwältigender Mehrheit gegen den Vorschlag. Bestimmt äußerte sich auch US-Außenminister Mike Pompeo, der sagte, die USA würden Amerikaner nicht unter Zwang nach Russland schicken, um dort von Putin und seinem Team verhört zu werden.

Derartige Zugeständnisse an Moskau wären eine starke Abkehr vom Kurs, den der Westen derzeit gegen Moskau auffährt. Zwar setzt die NATO auf einen Dialog mit Russland, gleichzeitig aber auch auf geschlossene Stärke und Verteidigung. Zudem wurden Russland seit März 2014 aufgrund des angekündigten Referendums auf der Krim Sanktionen durch die EU, die Vereinigten Staaten und andere Staaten auferlegt.

Noch während des Treffens mit Trump sagte Putin, die USA und Russland ständen nicht im Kalten Krieg:

„Der Kalte Krieg ist längst vorbei. Die Ära einer ideologischen Feindschaft zwischen den Ländern liegt in der Vergangenheit.“

Im Anschluss hingegen kommentierte Putin das Treffen zwar als möglichen Weg für einen positiven Wandel der Beziehungen zwischen den USA und Russland, jedoch sei es in mancher Hinsicht schlimmer als während des Kalten Krieges, da ungenannte Kräfte in den USA dem entgegenstünden und Parteiinteressen über das nationale Interesse stellten. Eine ähnliche, nur umgekehrte Ansicht vertreten auch NATO-Beobachter, die im Verhalten Moskaus den Versuch sehen, die NATO zu destabilisieren, wenn nicht zerstören zu wollen.

Putin – Zurück auf der Weltbühne

Putin ist seinem Anspruch, nach dem Zerfall der Sowjetunion als wiedererstarkte Großmacht auf der Weltbühne in Erscheinung zu treten, sehr nahe gekommen.

Als wolle Trump ihm diese neue Augenhöhe versichern, sagte er auf der Pressekonferenz  auf Nachfrage zu seiner kürzlichen Nord Stream 2-Kritik:

„Eigentlich nannte ich ihn einen Konkurrenten, und er ist ein guter Wettbewerber, und ich denke das Wort Konkurrent ist ein Kompliment.“

Weniger aufpoliert erscheint nach dem Trump-Putin-Treffen die liberal-demokratische Ordnung des Westens, die schmerzlich an Glanz einbüßt.

Die freie Welt, als dessen Anführer sich die USA laut US-Vizepräsident Mike Pence sieht, fühlt sich verraten.

Die Hybrid-Taktiken Moskaus und der ewige Zickzack-Kurs Trumps schaffen eine neue Welt, in der die Wahrheit relativ ist oder zu „fake news“ degradiert wird.

Trump und Putin scheinen in einigen wesentlichen Ansichten, die den Werten einer gesunden Demokratie entgegenstehen, nahezu übereinzustimmen. Die nicht-lineare Destabilisierungs-Taktik gleicht dem nicht-linearen Regierungsstil Trumps.

Journalisten bezeichnete Trump jüngst als „Volksfeinde“, einem sowjetischen Begriff aus der Stalin-Ära.

In Russland werden Journalisten neuerdings mit der staatlichen Auszeichnung als „ehrenwerter Journalist“ gewürdigt, sofern sie nicht zu subjektiv berichten. Eine Auszeichnung, die der ermordeten Investigativ-Journalistin Anna Politkowskaja und den vielen anderen Mordopfern unter den Russlandkritischen Journalisten nicht zuteilwurde. Meinungs- und Pressefreiheit – Fehlanzeige. Russische NGOs drohen, als „Auslandsagenten“ gebrandmarkt zu werden. Bezogen auf den US-Handel, nannte Trump die EU kürzlich einen „Feind“, während Putin die EU auf nicht-linearem, also hybridem Weg, vor allem politisch destabilisieren will.

Das neue NATO-Mitglied, Montenegro, wird vom Kreml schon lange voller Ablehnung, begleitet und von Desinformationskampagnen beäugt, da Moskau prinzipiell gegen jede NATO-Erweiterung ist und nicht akzeptieren will, dass das Militärbündnis eine demokratische Politik der offenen Türe inne hat. Jetzt kritisierte auch Trump in einem Interview mit Fox News die Montenegriner als „aggressive“ Menschen, die gefährlich für das Bündnis seien, da sie fähig seien, den Dritten Weltkrieg auszulösen. Unvergessen ist, wie Trump Staatspräsident Milo Djukanovic auf dem NATO-Gipfel 2017 vor laufender Kamera schubste. Der Balkan-Staat entgegnete mit Blick auf seine Geschichte, es sei die erste Nation Europas gewesen, die sich dem Faschismus widersetzte und sich heute an der Seite der USA weltweit für Frieden und Stabilität einsetze. Eine Studie des Foreign Policy Research Institute (FPRI) dokumentiert den abgewendeten Putschversuch, den die Regierung von Djukanovic im Jahr 2016 durchlebte, und hinter dem die russischen Geheimdienste GRU und FSB stehen sollen. Die Sonderstaatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität wirft den Agenten die Absicht vor, sie haben landesweite Proteste mittels politischer Gewalt auszulösen versucht, um die Regierung zu stürzen.

Wenn Trump die Russland-Ermittlungen als „Hexenjagd“ bezeichnet, ist dies Wasser auf die Mühlen Putins, der die Wahleinmischung ohnehin abstreitet.

In punkto Georgien und Ukraine warnte Putin die NATO vor engeren Beziehungen zu beiden Ländern und stellte klar,

eine solche Politik sei unverantwortlich und hätte nicht näher definierte Konsequenzen für das Bündnis. Man werde angemessen auf solche aggressiven Schritte reagieren, die eine direkte Bedrohung für Russland darstellten, drohte Putin, der angab, die Thematik mit Trump in Helsinki besprochen zu haben. Ob dies der Inhalt des geheimnisvollen Vieraugengespräches von Trump und Putin war, bleibt fraglich.

Georgien und die Ukraine bemühen sich längst um einen NATO-Beitritt, vor allem aus Angst vor einer territorialen Besetzung durch Russland. Die Ost-Ukraine befindet sich nach der Annexion der Krim weiterhin in einem heißen Krieg, da es von russischen Separatisten besetzt wird.

Auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz fragte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, dem es um die Verteidigung und Souveränität der Ukraine geht, ob es in Zukunft eine russische Welt von alternativen Werten, oder eine freie Welt mit allgemeingültigen Werten geben werde. Dabei appellierte er, dem Kampf gegen die wachsende hybride Bedrohung durch Russland gemeinsam entgegenzustehen und zu beweisen, dass Erpressung und Aggression Europa nicht zerstören könne.

Eben wegen der Annexion der Krim, der zunehmenden russischen Präsenz und die in Moldawien und zwei abtrünnigen Regionen Georgiens stationierten russischen Streitkräfte, setzt die NATO auf die größte Verstärkung ihrer kollektiven Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges.

„Als die größten Atommächte haben wir eine besondere Verantwortung für die internationale Sicherheit.“ – Wladimir Putin auf der Pressekonferenz in Helsinki.

Wohin es mit Russland gehen soll, demonstrierte das russische Staatsfernsehen nur wenige Tage nach dem Gespräch von Trump mit Putin zur Vermeidung eines Wettrüstens – das russische Verteidigungsministerium ließ eine neue Hyperschallrakete seines konventionellen Waffen- und Nuklear-Programms über die Bildschirme sausen und kündigte neue Flugtests für atomgetriebene Marschflugkörper an.

Audio/Video

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AFP/AP/Reuters/RFE/RL

Atlantis(che)-Stimmung – Die NATO und der Trump-Effekt

Von Michelle Eickmeier

„Wir hatten exzellenten Orangensaft und etwas Toast, und etwas Fruchtsalat, ein gutes Frühstück, bezahlt von den Vereinigten Staaten“, scherzte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg über das morgendliche Frühstück mit US-Präsident Donald Trump am Rande des NATO-Gipfels und löste damit breites Gelächter aus. Zur Frage, ob sich Trumps Beharren auf die Verteidigungsausgaben kontraproduktiv auf den Zusammenhalt des Bündnisses auswirken könnte, sagte Stoltenberg, „was wir sehen, ist, dass die Verteidigungsausgaben steigen, und ich denke, das ist es, was ich dazu sagen muss. [Gelächter im Saal] Tatsache ist, dass die Verteidigungsausgaben steigen.“ Stoltenberg dankte Trump für „seine Führungsrolle bei den Verteidigungsausgaben“. Es habe eindeutig Auswirkungen.

Beim Frühstück schmierte Trump dem NATO-Generalsekretär nochmal dick aufs Brot, dass die Vereinigten Staaten 4,2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgäben, während Deutschland hingegen nur auf etwa ein Prozent käme.

Die NATO legte offizielle Zahlen zu den Verteidigungsausgaben vor. Richtig ist, die Bundesrepublik konnte unverändert im Vergleich zum vergangenen Jahr lediglich 1,24 Prozent seines BIP für Verteidigungsausgaben erreichen und kommt dem Zwei-Prozent-Ziel somit nicht näher. Die Quote der USA ist leicht gesunken und liegt im diesem Jahr bei 3,5 Prozent.

In der aktuellen Erklärung der Staats- und Regierungschefs des NATO-Gipfels wurde die Deadline bis 2024 angesetzt, dass bis dahin etwa zwei Drittel der Verbündeten nationale Pläne umzusetzen haben, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Dies entspricht ebenfalls der Vereinbarung vom vergangenen Jahr, nationale Pläne zur Lastenteilung zu entwickeln. Basierend auf diesen Plänen und Zusagen durch Kanada und die EU-NATO-Partner erwartet die NATO 266 Milliarden US-Dollar zusätzlicher Investition für die Verteidigung bis 2024.

Die Verteidigungsausgaben stiegen nach der Annexion der Krim rasant an. Quelle: NATO official figures
Die Verteidigungsausgaben stiegen nach der Annexion der Krim rasant an. Quelle: NATO official figures.

Stoltenberg hält fest, im letzten Jahr sei der größte Anstieg der Verteidigungsausgaben seit dem Ende des Kalten Krieges zu sehen, alle Verbündeten hätten ihre Verteidigungsausgaben erhöht.

Als Grund dafür und die größte Verstärkung der kollektiven Verteidigung der NATO seit dem Ende des Kalten Krieges sieht die NATO, neben der Annexion der Krim, die zunehmende russische Durchsetzungsfähigkeit und Präsenz sowie die in Georgien und Moldawien stationierten russischen Truppen.

Am Ende des NATO-Gipfels resümierte Stoltenberg, die NATO sei stärker denn je. 41 Milliarden Dollar seien seit dem Amtsantritt von Trump zusätzlich in die Verteidigung investiert worden, äußerte Stoltenberg.

Trump schreibt sich selbst diesen Erfolg zu – ungeachtet der Tatsache, dass die Verteidigungsausgaben bereits einen rasanten Anstieg im direkten Zusammenhang und als Reaktion auf die Annexion der Krim im Jahr 2014 erfuhren, als er noch nicht US-Präsident war:

„Er [Jens Stoltenberg] dankte mir tatsächlich, und alle im Raum bedankten sich bei mir. In diesem Raum herrscht ein kollegialer Geist, den sie, wie ich glaube, viele Jahre nicht hatten. Sie sind sehr stark. Also ja, sehr vereint, sehr stark, kein Problem.“

Der Trump-Effekt macht sich in allgemeiner Verunsicherung bemerkbar. Trump droht mit einem Alleingang der USA, Trump bekennt sich doch zur NATO – selbst ranghohe NATO-Offizielle können nicht mehr sicher voraussehen, woran sie morgen bei Trump sind.

Amtskollegen deuten Trumps Absichten, um sie der Öffentlichkeit verständlich zu machen. So kürzlich der US-Republikaner Mitch McConnell, der sich augenblicklich keine Sorgen darüber macht, Trump wolle aus der NATO austreten.

Der US-Senat stimmte kurz vor dem Auftakt des NATO-Gipfels mit überragender Mehrheit für einen Antrag, in dem er sich geschlossen zur NATO bekannte, wozu er sich aufgrund der durch Trump ausgelösten Verunsicherung veranlasst sah.

Unsicherheit ist nicht gerade das, was sich EU-NATO-Verbündete wünschen, denn die Vereinigten Staaten gelten als ihre wichtigsten Verbündeten. Die Militärpräsenz der USA in Europa sei um 40 Prozent seit dem Amtsantritt von Trump gestiegen, stellt Stoltenberg fest.

Eine „Wirkung“ hat Trump ganz sicher, besonders auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die den Seitenhieb Trumps, Deutschland sei total von Russland kontrolliert und sein Gefangener, da es 60 bis 70 Prozent seiner Energie von Russland und eine neue Pipeline erhalte, nicht lange auf sich sitzen ließ. Mit Betonung auf die Freiheit zur eigenständigen Politik bemerkte Kanzlerin Merkel, dass sie selbst erlebt habe, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert wurde, und sie sehr froh sei, heute in Freiheit als die Bundesrepublik Deutschland vereint zu sein.

Atlantis(che)-Stimmung in der NATO

Die NATO durchlebt derzeit heftige innere und äußere Spannungen. Wenn Stoltenberg von einem „schwierigen Partner“ wie Russland spricht, was der NATO bereits einen dualen Ansatz der Verteidigung und des gleichzeitigen Dialogs abverlangt, muss sie auch Trump mit psychologisch-pädagogischem Geschick richtig anzufassen verstehen. Trump reduziert das transatlantische Bündnis auf Verteidigungsausgaben und Zahlen, als käme er zu einem Wirtschaftsgipfel. Sein Vorwurf, die USA sollen Deutschland beschützen, aber Deutschland beziehe seine Energie durch Erdgas von Russland, kratzt empfindlich am Herzstück der NATO, dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrages. Demnach tritt der Bündnisfall nach einem Angriff auf ein NATO-Mitglied ein, der als ein Angriff gegen alle Mitglieder verstanden wird. Der Bündnisfall trat bisher nur einmal als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in Kraft, wo Zahlen hinter dem Komma noch nicht überbewertet wurden. Trump blendet aus, dass die jeweiligen Verteidigungsausgaben der NATO-Mitglieder immer eine Investition in die eigene nationale Sicherheit sind und nicht auf ein Konto in Brüssel gehen. Es gibt im transatlantischen Bündnis keine Unterscheidung zwischen voll- oder minderwertigen NATO-Mitgliedern.

Bereits im Vorfeld des NATO-Gipfels ging Trump auf einer Rede im US-Bundesstaat Montana frontal im Mafia-Stil Kanzlerin Merkel an:

„Und ich sagte, weißt Du, Angela, ich kann es nicht garantieren, aber wir schützen Dich, und es bedeutet viel mehr für Dich als uns zu beschützen, weil ich nicht weiß, wie viel Schutz wir bekommen, wenn wir Dich beschützen.“

Nicht verwunderlich ist es demnach, wenn der NATO-Generalsekretär nach 70jährigem Bestehen des transatlantischen Bündnisses sagt:

„Es ist nicht in Stein geschrieben, es ist kein Naturgesetz, dass wir die NATO für immer haben werden. Ich glaube, es ist möglich.“

Politische Verpflichtung sei wichtig, fügte Stoltenberg hinzu. Wie wichtig die USA als Bündnispartner für die NATO sind, machte Stoltenberg deutlich:

„Nach dem Brexit werden 80 Prozent der Verteidigungsausgaben der NATO von Nicht-EU-Verbündeten kommen. Deshalb müssen wir auch die größtmögliche Einbeziehung von Nicht-EU-Bündnispartnern in unsere Zusammenarbeit sicherstellen.“

Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte an Trump: “Liebes Amerika, schätzen Sie Ihre Verbündeten, schließlich haben Sie nicht so viele.”

Trump kritisiert Nord Stream 2

Trumps implementierte Aufforderung an Deutschland, entweder den Gasvertrag mit Russland aufzulösen oder alternativ vier Prozent seines BIPs bis spätestens 2019 zu zahlen, wie er zum Ende des Gipfeltreffens nochmals nach oben korrigierte, ist nicht die Sprache, die seinem Amtskollegen Wladimir Putin, mit dem Trump am Montag zu einem Tête-à-Tête in Helsinki zusammenkommen wird, gefallen dürfte. Der Kreml äußerte sich bereits und bestritt die Bezeichnung Trumps, Deutschland sei Russlands „Gefangener“.

Der Kreml bezeichnete Trumps Nord Stream 2-Kritik als „Kampagne der Vereinigten Staaten, um Europa zum Kauf amerikanischer Energielieferungen zu zwingen“ und spricht von „unlauteren Wettbewerb“. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf einen Sprecher des US-Außenministeriums beziehen, sollen westliche Unternehmen, die in Nord Stream 2 investierten, Sanktionsrisiken ausgesetzt sein. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow deutete die US-Haltung als den Versuch, den eigenen Energiesektor in den USA zu pushen. Gleichzeitig versicherte Peskow, die Versorgung mit Pipeline-Gas führe zu einer gegenseitigen Abhängigkeit und sei eine Garantie für Stabilität und zukünftige Entwicklung. „Wir denken, dass es eine Frage des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist.“ Die Käufer müssten ihre eigene Entscheidung treffen, fügte Peskow hinzu.

Das Nord Stream 2-Gaspipeline-Projekt, das Trump in Frage stellt, soll bis Ende 2019 realisiert werden und Gas aus der Russischen Föderation nach Deutschland liefern. Bislang wird Deutschland durch die Nord-Stream-Pipeline, die durch die Ostsee verlegt ist, mit Erdgas beliefert, von der 51 Prozent der Anteile von Gazprom gehalten werden. Das Nord Stream 2-Projekt, das parallel zur bereits bestehenden Pipeline verlaufen soll, steht inoffiziell in der Kritik, da es durch die russischen Gasimporte die Abhängigkeit von Russland als Monopolmacht in Europa erhöhen würde. Zudem steht es im Kern den Zielen der Energieunion entgegen, die sich für die Schaffung eines einheitlich-europäischen Energiemarktes und europäische Solidarität im Bereich der Energiesicherheit unter den Mitgliedsstaaten einsetzt. Bereits im Jahr 2015 blockierte die EU die South Stream-Pipeline von Gazprom.

Fakt ist, im Jahr 2016 wurden 41 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs u. A. durch Importe aus Dänemark und Russland gedeckt. Ein leichter Anstieg um zwei Prozent im Vergleich zu 2006. Der Erdgasbezug von deutschen Bezugsquellen hingegen ist stark gesunken – im Jahr 2016 waren es sieben Prozent im Vergleich zu 2006 noch 16 Prozent (Quelle: Statista, online abgerufen 12.07.2018). Deutschland importiert neben Erdgas vor allem auch Rohöl, u. A. von Russland, um seinen Energiebedarf zu decken. Rohöl im Wert von rund 32,05 Milliarden Euro sowie 24,03 Milliarden an Erdgas wurden im Jahr 2017 nach Deutschland importiert (Quelle: Statista). Russland, Norwegen und Großbritannien zählen zu den wichtigsten Ursprungsländern deutscher Rohölimporte (Quelle: Statista). So zählte das Vereinigte Königreich 98 Unternehmen zur Gewinnung von Erdöl und Erdgas im Jahr 2010 (Quelle: Eurostat).

Verteidigung gegen hybride Bedrohung

Einer schwachen, nicht geschlossenen NATO dürfte Russlands Präsident Wladimir Putin, der diese einst als Produkt des Kalten Krieges bezeichnete, nicht abgeneigt sein.

Die NATO verstärkt auch weiterhin ihre Verteidigung gegen die hybride Bedrohung durch Moskau und beschloss in Brüssel eine neue Kommandostruktur, einschließlich eines neuen Kommandos für den Atlantik und ein weiteres in Deutschland. Geplant sind ein Cyberspace-Operations-Zentrum in Belgien, ein Unterstützungskommando in Deutschland zur Gewährleistung schneller Truppenbewegung und ein Einsatzkommando in den USA zum Schutz der transatlantischen Kommunikationswege.

Trump, dem es erst die russische Einmischung ermöglichte, seine Konkurrentin Hillary Clinton im Wahlkampf auszustechen, steckt knietief in der Russland-Affäre. Zahlen sind nicht unwichtig – sein ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort, der wegen Verschwörung zur Geldwäsche, Verschwörung gegen die USA und fehlender Registrierung als ausländischer Agent der ehemaligen pro-russischen Regierung der Ukraine angeklagt wurde, soll 10 Millionen US-Dollar Darlehen vom russischen Oligarchen Oleg Deripaska angenommen haben.

Die Welt sieht gespannt auf das Spitzentreffen von Donald Trump und Wladimir Putin am kommenden Montag. Mit Putin werde er es am einfachsten haben, prophezeite Trump kürzlich.


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AFP/AP/Reuters